Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
Eltern jedoch aßen in aller Seelenruhe weiter, ohne sich darum zu kümmern, welcher Aufruhr in ihm tobte. Schließlich kamen sie aber doch zum Ende und standen auf, ohne sich um das Geschirr zu kümmern – Finn war bereits gestern darüber verwundert gewesen; im Waisenhaus hatte jedes Kind sein Geschirr selber in die Küche getragen, wo die alte Kaja es dann abgewaschen hatte. In einem Wirtshaus war das offenbar anders.
Lydia ging noch einmal kurz in ihre Stube, um sich eine Jacke zu holen, während Heinz mit Finn schon zum Auto ging.
Schließlich saßen sie alle drei im Auto und die Fahrt ging los.
Man fuhr nicht lange; bereits nach wenigen Minuten stoppte Heinz das große Auto vor einem Bekleidungsgeschäft. Der Ladenbesitzer, welcher beim Anblick des schönen Autos wohl ein gutes Geschäft witterte, öffnete ihnen die Tür und komplimentierte sie unter vielen Verbeugungen hinein.
Im Geschäft wurde Finn auf einen Hocker gestellt, um seine Maße nehmen zu können, und schließlich ging der Ladenbesitzer und holte verschiedene Schachteln mit Hosen und Hemden sowie Bügel, über denen Jacken hingen.
Gleich im ersten der Anzüge kam sich Finn ausgesprochen verkleidet vor, und er hoffte sehr, dass Heinz und Lydia nicht ausgerechnet diesen Anzug kaufen würden. Erleichtert atmete er aus, als Lydia den Kopf schüttelte und Heinz ihn nach seiner Meinung fragte.
„Vielleicht… also, wenn es erst mal nicht ganz so vornehm wäre?“, sagte er schüchtern.
„Nur so zum eingewöhnen?“, setzte er schnell hinzu, weil er Angst hatte, unhöflich gewesen zu sein. Heinz und Lydia aber lachten nur, als habe er einen guten Witz gemacht. Schließlich einigte man sich auf eine schöne kurze Hose und eine dazu passende Jacke, dazu zwei neue Hemden und einige Garnituren Unterwäsche , mehrere Paare Socken sowie eine Mütze.
„Jetzt müssen wir auch noch Schuhe für dich kaufen“, entschied Heinz.
Zum Schuhgeschäft musste man nur über die Straße gehen. Der Schuhmacher war hocherfreut. Er hatte schon seit einiger Zeit neugierig durch die Fensterscheibe nach dem großen Auto und auch in die Fensterscheibe des Bekleidungsgeschäftes gespäht.
Man erstand ein Paar feste, braune Halbschuhe, über die sich Finn beinahe noch mehr freute als über die Hose und die Jacke. Schuhe, neue Lederschuhe, die man im Sommer tragen konnte, das war für ihn immer ein Anzeichen von Reichtum gewesen. Oder, wie er zugeben musste, von städtischem Schick. Wenn er sich so umsah, liefen in dieser Stadt viel mehr Kinder mit Schuhen herum als in seiner kleinen Heimatstadt. Vielleicht, so dachte er, lag das daran, dass das Kopfsteinpflaster unter den nackten Füßen unangenehmer war als die unbefestigten Feldwege, über die Finn mit seinen Freunden meistens gelaufen war.
Oder aber, überlegte er, die Menschen in einer großen Stadt hatten allgemein mehr Geld als die in einer kleinen Stadt. Dagegen sprachen aber Kinder wie die, die er gestern vor dem Bonbonladen gesehen hatte. Finn musste ein wenig grinsen. Das rothaarige Mädchen war sicher nicht reich. Ihre Kleidung hatte noch erbärmlicher ausgesehen als seine eigene; immerhin hatte Fräulein Winter mit Hilfe der alten Kaja und der größeren Mädchen stets dafür gesorgt, dass die Kleidung ihrer Kinder, wenn sie auch alt war, so doch zumindest geflickt und sauber war. Offensichtlich hatte das Mädchen niemanden, der sich so um sie kümmerte.
Der Gedanke machte Finn ein wenig traurig. Dann aber vergaß er das rothaarige Mädchen, als er, bepackt mit Schachteln und der braunen Tüte mit seinen neuen Schuhen, zum Auto ging.
Wie immer mussten sie sich einen Weg durch die bewundernden Kinder bahnen, die sich in Scharen um das Auto versammelt hatten.
Finn hatte inzwischen schon einige andere Autos gesehen, dazu auch mehrere Autobusse. Immer mehr bemerkte er, wie besonders doch dieses Auto von Heinz war. Seine Eltern mussten wirklich sehr reich sein.
Finn hätte gerne so vieles gefragt; was genau man eigentlich, wie Heinz, in einer Bank zu tun hatte, was dieses Auto so besonders machte, und vor allem auch, wo Heinz und Lydia wohnten, wie es dort aussah, wie man dort lebte. Ein vages Gefühl, vielleicht unhöflich zu sein, wenn er solche Fragen stellte, hielt ihn davor zurück. Schließlich würde er, wenn er lange genug wartete, sicher auch ohne zu fragen alles herausfinden.
Finn hatte während seiner Grübelei nicht auf die Straße geachtet; schneller als erwartet waren sie wieder
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