Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
machen. Fräulein Winter lächelte zu ihm hinüber. „Sie hat dann immer mal frische Brötchen dazu gelegt“, sagte sie verständnisvoll. „Aber gestern dann bekam ich einen Brief von ihr, in dem stand, dass es plötzlich zwei Jungen gab, die genauso aussähen, wie ihr Finn – und das war nur wenige Tage, nachdem du, Finn, mit den Schmidts nach Hohenstadt gegangen warst.“ Jetzt war es Finn, der große Augen machte. Rosie arbeitete tatsächlich bei dem Bäcker, bei dem sie das Brot aus der Kiste geholt hatten? Er war ihr so nahe gewesen und hatte es noch nicht einmal gewusst!
„Das kam mir nun doch ziemlich merkwürdig vor“, berichtete Fräulein Winter unterdessen weiter. „Und dann sah ich das Auto der Schmidts gestern hier in Burgfeld – obwohl sie doch eigentlich schon lange mit dir in ihre Heimat gefahren sein wollten. Das Auto stand am Stadtrand, hinten bei der alten Burgruine, aber sie selbst waren nirgends zu sehen. Das kam mir so eigenartig vor, dass ich beschloss, sie auszuspionieren, und…“
„Sie haben – was????“, entfuhr es Finn. Der Gedanke, dass das ehrwürdige Fräulein Winter in ihrem sauberen grauen Kleid auf der Lauer gelegen haben mochte, kam ihm völlig widersinnig vor.
Fräulein Winter lachte.
„Kind“, sagte sie, „ich habe eine ganze Bande angehender Spione hier. Peter und Hans haben das für mich erledigt. Sie haben so lange ganz zufällig bei der Ruine gespielt, bis das Ehepaar Schmidt tatsächlich aufgetaucht ist. Und du warst nicht dabei. Natürlich wäre das noch kein Beweis gewesen, aber zusammen mit der Tatsache, dass plötzlich ein zweiter Finn in Hohenstadt aufgetaucht war, der offensichtlich nicht genug zu essen hatte, machte es mich misstrauisch. Ich lief zur Ruine, um die beiden zur Rede zu stellen, aber sie waren schon fort gefahren. Also habe ich dich bei der Polizei als vermisst gemeldet und angegeben, dass du wahrscheinlich in Hohenstadt bist – eventuell noch mit einem zweiten Jungen.
Natürlich wusste ich da noch nicht“, fügte sie nachdenklich hinzu, „dass es drei von euch gibt.“
„Jacob haben wir auch erst gestern gefunden“, erklärte Finn nach einigem Nachdenken. War es wirklich gestern gewesen, dass Tom und er ihren Bruder kennen gelernt hatten?
„Genaueres wissen wir leider selber noch nicht“, sagte Tom plötzlich. „Finn und ich haben uns nur gewundert, dass wir uns so ähnlich sehen, und dann erzählte uns ein Bekannter, dass es noch einen dritten Jungen gab, der auch wie wir aussah“
Finn sah ihn erstaunt an, sagte aber nichts. Offensichtlich wollte sein Bruder den Kristall und die Papiere im Moment nicht erwähnen.
Plötzlich gähnte Jacob. „Entschuldigung“, sagte er höflich. „Aber irgendwie war es doch ein recht langer Tag“
„Oh, natürlich“, stimmte Fräulein Winter leicht zerknirscht zu. „Es ist nur so, dass ich ungefähr noch fünfhundert Fragen an euch habe. Aber die können auch bis morgen warten. Ich werde euch… wartet… ja, ich weiß, wo ich euch schlafen lasse!“
Keine zehn Minuten später hatte sie die drei Jungen in einer kleinen Kammer untergebracht. Die Betten waren gemütlicher als alles, was Tom und Finn in den letzten Nächten gehabt hatten – und bestimmt ungemütlicher als jedes Bett, in dem Jacob in seinem ganzen Leben geschlafen hatte – und die Jungen kuschelten sich hinein, als Fräulein Winter ihnen gute Nacht sagte und das Licht löschte.
Eine Weile warteten sie mit angehaltenem Atem. Dann seufzte Jacob müde.
„Wir müssen wieder aufstehen, nicht wahr?“, fragte er trübselig und strampelte seine Decke von sich.
„So eine Gelegenheit bekommen wir nicht so schnell wieder“, bestätigte Tom ebenso betrübt.
Finn zog bereits seine Kleider wieder an.
„Ich zeige euch, wie man hier heraus kommt“, sagte er.
Die Ruine lag verlassen im Mondlicht. Der nahe Wald warf lange Schatten, die sich im leichten Wind hin und her bewegten. Irgendwo schrie eine Eule. Finn zog unbehaglich die Schultern hoch und wickelte sich tiefer in seine Jacke.
„Hier ist es“, flüsterte er und kam sich im selben Moment etwas albern vor. Um diese Uhrzeit war niemand bei der Ruine; eigentlich konnte er so laut reden, wie er wollte. Aber schon sein Flüstern war ihm in der Stille der Nacht laut und falsch vorgekommen. Er wurde noch leiser. „Hier haben wir oft gespielt“, sagte er. „Wenn die Sonne scheint, ist es hier sehr schön.“
„Aber ihr habt nie einen geheimen Eingang oder so
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