Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
„Hier hinein“, bestimmte er. So schnell sie konnten, krochen die Jungen zwischen Hemden und Anzughosen – Finn konnte kaum glauben, dass all diese Kleidungsstücke demselben Jungen gehören sollten. Jacob schloss die Tür, schubste die Essensreste und die dreckigen Kleider unter sein Bett, riss sich Hemd und Hose vom Leib und zog sich ein Nachthemd über, schnappte sich ein Buch und hatte sich kaum ins Bett gelegt, als sich die Tür auch schon öffnete und seine Eltern herein traten.
„Warum schläfst du noch nicht?“, fragte seine Mutter in vorwurfsvollem Ton.
„Ich musste noch für die Schule lernen!“, antwortete Jacob und wedelte mit seinem Buch.
„Na wie schön, dass du so fleißig bist“, sagte seine Mutter, beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss. „Aber jetzt ist es wirklich Zeit zu schlafen, sonst kommst du morgen nicht aus dem Bett.“
Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
„Gute Nacht, mein Sohn“, sagte sein Vater und beugte sich ebenfalls über ihn, aber statt ihn zu küssen, flüsterte er ihm ins Ohr „Du hältst das Buch falsch herum, und außerdem bin ich fast sicher, dass ihr Robinson Crusoe nicht in der Schule lest!“ Lachend wuschelte er ihm durchs Haar, dann ging auch er zur Tür. „Schlaf gut“, sagte er und löschte das Licht. Dann schloss er die Tür.
Einige Sekunden lang war es totenstill im Raum, dann hörte man im Schrank plötzlich leises Kichern. Jacob sprang aus dem Bett, schaltete das Licht wieder an, öffnete die Schranktür und sah in die grinsenden Gesichter seiner Brüder.
„Robinson Crusoe, ja?“, feixte Finn. „Das Buch habe ich auch!“ Alle drei brachen in unterdrücktes Gelächter aus. Schließlich schüttelte Jacob den Kopf.
„Es ist toll, Brüder zu haben“, sagte er leise. „Und wisst ihr was? Ich werde mit euch mitkommen. Dieses Abenteuer müssen wir gemeinsam durchstehen.“
Nach einigem Nachdenken entschlossen sich die Jungen, noch in der Nacht zu dem alten Haus von Tom und seinen Freunden zu gehen. Zwar waren sie ziemlich müde, würden aber über Nacht am meisten Zeit haben, eine ausreichende Strecke zwischen sich und Jacobs Eltern zu legen. Morgen dann wollten sie überlegen, wie sie am besten nach Burgfeld kamen.
„Denn selbst wenn ich meinen Eltern einen Brief schreibe“, sagte Jacob, „suchen werden sie mich mit Sicherheit!“
Trotzdem riss er eine Seite aus seinem Schulheft.
Liebe Mama, lieber Papa , schrieb er, ich muss dringend eine wichtige Sache klären. Ich melde mich, sobald ich kann.
Euer Jacob
Finn fand den Brief ganz gelungen, nur Tom betrachtete ihn mürrisch.
„Ich will auch schreiben können!“, verkündete er schließlich verdrossen. „Ich komme mir vor, als sei ich weniger wert als ihr.“
Finn schüttelte den Kopf. „Du bist derjenige, der weiß, wie man alleine am besten klarkommt“, sagte er. „Wir brauchen deinen Mut und deine Ideen, und das ist in diesem Fall vielleicht noch wichtiger, als lesen und schreiben zu können.“
Tom sah ein bisschen besänftigt aus.
„Wie kommt es eigentlich, dass du nicht lesen kannst?“, fragte Jacob, während er den Zettel auf dem Kopfkissen deponierte.
„Ich war nicht sehr lange in der Schule“, murmelte Tom peinlich berührt. „Und meiner Pflegemutter war das egal.“
„Hilf mir mal“, sagte Jacob, der inzwischen unter das Bett gekrochen war, um das restliche Essen, das er vorhin darunter geschubst hatte, wieder hervor zu holen. Tom nahm ihm den Korb aus der Hand.
„Wollen wir den so mitnehmen?“ fragte er.
„Ich glaube, wir sollten das Essen lieber in meine Schultasche stecken“, schlug Jacob vor. Wenn morgen die Sonne aufgeht, wird sich niemand wundern, wenn er einen Jungen mit Schultasche sieht. Ein Junge mit Einkaufskorb fällt da wohl mehr auf.“
Tom nickte.
„Was ist mit unserer Kleidung?“, fragte Finn.
„Ach, behaltet doch meine an“, sagte Jacob. „Eure war sowieso ziemlich dreckig.“
Vorsichtig öffneten die Jungen die Tür. Das Haus lag im Dunklen, nur unter einer der Türen drang noch ein Lichtschein hervor, und man hörte die leise Stimme von Jacobs Mutter und dann das Lachen seines Vaters. Einen Moment lang blieben alle drei Jungen stehen, dann sahen sie sich an und schlichen wortlos weiter, die große Treppe hinunter und zu der kleinen Seitentür, durch die sie vorhin hinein gekommen waren. Jacob schob den Riegel zurück und zu dritt drängten sie sich hindurch. Dann schloss Jacob die Tür wieder. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher