Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
etwas entdeckt?“, fragte Tom ebenso leise.
„Nein, nie!“, antwortete er. „Wir haben aber natürlich auch nie richtig gesucht.“ Er zeigte mit dem Arm über das weitläufige Gelände. „Es gibt fast keine Dächer mehr, aber die meisten Räume sind noch erkennbar. Da hinten ist die Burgkapelle, dort sind sogar noch einige Zeichnungen an den Wänden zu sehen. Dieses Gebäude da hinten ist recht gut erhalten – wir haben es immer den Pferdestall genannt, aber ich weiß gar nicht, wie wir darauf kamen. Vielleicht war es etwas ganz anderes.
Und da drüben“ – er zeigte in eine Richtung – „ist ein Turm, in dem es eine gut erhaltene Wendeltreppe gibt. Sie hat aber kein Geländer, man muss sehr vorsichtig sein, wen man hinauf klettert. Allerdings denke ich, dass etwas Geheimes nicht oben, sondern eher unter der Erde liegt. Sonst hätten wir es beim Spielen längst gefunden.“
„Am besten ist es wohl, wir teilen uns auf“, schlug Tom entschlossen vor. „Ich gehe in diese Richtung, du“ – er zeigte auf Jacob – „suchst beim Turm und du, Finn, guckst dir noch mal diese Ecke da genauer an. Wer etwas findet, pfeift wie eine Eule, in Ordnung?“
Jacob sah unbehaglich drein. „Müssen wir uns wirklich trennen?“, fragte er.
„Ich glaube, wir haben nicht mehr allzu viel Zeit, bis es hell wird“, sagte Tom. „Und am besten wäre es, wenn wir bei Sonnenaufgang wieder in unseren Betten liegen würden.“
„Wir sollten lieber dreimal wie eine Eule pfeifen“, schlug Finn vor. „Die Eule vorhin hat nämlich schon einmal wie eine Eule gepfiffen, und wenn sie das noch einmal macht, könnte sie uns ziemlich reinlegen.“
Tom grinste. „Na dann los“, sagte er und ging durch einen verfallenen Torbogen.
Jacob und Finn sahen sich an.
„Hat der denn gar keine Angst?“, fragte Jacob. Im hellen Mondlicht konnte Finn erkennen, dass sein Gesicht leicht verärgert war.
„Ich weiß nicht“, sagte Finn nachdenklich. „Vielleicht versteckt er seine Angst nur besser. Ich fühle mich auch nicht ganz wohl. Aber eigentlich muss man wohl keine Angst haben, glaube ich. Im Sommer ist es hier wirklich schön und ganz ungefährlich. Warum sollte es gefährlicher sein, nur weil es Nacht ist und der Mond scheint?“
„Na gut, dann suchen wir mal“, sagte Jacob, der sich von Finns Worten seltsam getröstet fühlte. „Ich hoffe nur, das Mondlicht ist hell genug, dass wir auch etwas sehen!“
Er hob die Hand und ging in Richtung des Turmes. Auch Finn drehte sich um, um den ihm zugeteilten Bereich abzusuchen. Jetzt, da er alleine war, fühlte er sich noch unwohler. Ja, es stimmte, im Sommer hatten er und seine Freunde oft hier gespielt, aber da hatte er sich ganz anders gefühlt. Da hatte er das Lachen der anderen Kinder gehört und hatte die Sonne auf seiner Haut gespürt. Jetzt dagegen waren überall Schatten, die man nicht einsehen konnte, und die Geräusche waren die Geräusche der Nacht. Wieder schrie eine Eule, und Finn hielt den Atem an, aber sie schrie nur einmal, dann war es wieder still. Aber wenn der Eulenruf nun doch von einem seiner Brüder gekommen war, und jemand ihn erwischt und zum Schweigen gebracht hatte?
Unsinn , rief sich Finn selber zur Ordnung. Wir sind alleine hier und uns wird nichts geschehen.
Entschlossen ging er ein paar Schritte auf einen schon vor langer Zeit verfallenen Eingang zu. Er kletterte über einige große Steine und stand in den Überresten eines alten Saales. Dieser Saal hatte dem großen Hans aus dem Kinderheim stets als Hauptquartier gedient und er hatte ihn erbittert verteidigt, wobei auch schon einmal Steine geflogen waren. Finn wusste allerdings, dass es außer dem verfallenen Torbogen noch mehrere kleine Türöffnungen gab, durch die man sich hinterrücks in den Saal schleichen konnte und ihn erobern konnte. Bei dem Gedanken musste er lachen. Vorsichtig schlich er sich an den Mauern entlang, wobei er besonders den Boden genauer betrachtete. Von den ursprünglichen Steinen auf dem Boden war kaum noch etwas zu erkennen. Seit das Dach fort war, hatten Wind und Wetter Erde in die Burg getragen und in den früheren Räumen Gras und andere Pflanzen wachsen lassen. In einigen Ecken der Burg schossen junge Birken und Buchen, und hier im alten Saal gab es an einer Wand eine gewaltige Brombeerhecke.
Finn stockte der Atem. Ob er vielleicht dort mal genauer gucken sollte?
Vorsichtig schlich er sich an der Wand entlang zu der Hecke. Sie kam ihm, jetzt im Dunklen, noch
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