Finne dich selbst!
nach Arbeit.«
Merita erklärt uns, dass sie hier für eine Ausstellung in Helsinki arbeiten. Sie zeigt uns ihre aktuellen Objekte: Hocker aus jeweils 150 bis 200 Holzstücken, dünnen Brennholzscheiten, die mit einem Gurt zusammengehalten werden. Drei Scheite sind länger als die anderen und ragen als Stuhlbeine heraus. Dieses Konstruktionsprinzip ist die bildhauerische Übersetzung eines der großen literarischen Werke Finnlands. Diese Figurinen werden die »Sieben Brüder« symbolisieren, nach dem berühmten Roman von Aleksis Kivi, von vielen auch als der finnische Nationalroman angesehen. Ob wir den Roman kennen? Wir schütteln die Köpfe. Das sei fast das wichtigste finnische Buch. Markku erzählt uns eine Kurzversion. Nachdem Vater und Mutter gestorben sind, lassen die sieben Brüder, allesamt schon gewaltige Kerle, den Hof verkommen. Sie wehren sich gegen die Auflage, lesen zu lernen und in die Kirche zu kommen. In der Schule, beim Geistlichen, bleiben sie nur zwei Tage, weil er sie quält und schlägt. Sie entkommen, verpachten den Hof und schlagen sich in die Wälder und leben dort zehn Jahre als Köhler und Jäger. Konflikte unter den Brüdern zeigen menschliche Schwächen und das Problem, Kompromisse zu finden. Dann kommen sie aus dem Wald zurück und bauen sogar eine Schule. Eine Bildungsgeschichte um Freiheit und Verantwortung, um Diskurs und Konflikt. Und mit Happy End. Der Roman war bei seinem Erscheinen 1870 sehr umstritten, er zeige ein zu negatives Bild der Finnen und Finnlands. Die Beschreibungen der Brüder im Roman dienen Merita und Tapio jetzt sozusagen als »Bauanleitung«.
»Kann man machen«, kommentiert Hermann knapp. Das ist für eine Arbeit zwischen Handwerk und Kunst das größte denkbare Lob eines ostwestfälischen Zimmermanns.
Wir trinken Kaffee, und Markku erzählt. Er hat eine eigene Philosophie entwickelt. Die Präsentation und die Rückbesinnung auf den Werkstoff Holz, gleichzeitig ein sensibler Umgang mit dem Wald, ein Bewusstsein für das Miteinander von Baum und Mensch. »Bäume und Wälder muss man verehren.« Er ist in seinem Element: »Holz ist das Grundgerüst des finnischen Lebens. Beinah konstitutiv. Das Trägermaterial der Gesellschaft, die darin und damit erst lebt, leben kann: Das Haus und vor allem die Sauna, die aus Holz gebaut werden und die man mit Holz heizt. Und die Grundlage, der Baum, muss gehegt und umsorgt werden.«
Markku selber konstruiert Möbel und Gebrauchsgegenstände. Auch er arbeitet alle Stücke aus Holz, das nicht extra geschlagen wird. »It’s all left over!« Das ist alles abgebrochen, übrig geblieben, liegengelassen. Eigentlich Abfall, insofern Recycling. »Ich bin stark von China und Japan beeinflusst. Manche der Modelle sind extra an einer japanischen Hochschule für diese Ausstellung gebaut worden.« Die meisten Stücke aber hat er selbst gefertigt. »Das war eine echte Alternative zum Fernsehen. Mein Hobby!«, lacht er. »Im Winter war das eine schöne Arbeit. Ich saß am heißen Ofen und habe die Holzverbindungen gearbeitet.«
Das Ganze nennt er die »Arche der Verbindungen«, auf Finnisch
liitosten arkki
. Eine sehr poetische Beschreibung dieses Raumes. Heute kommen sogar Brautpaare, um hier zu heiraten. In den Holzverbindungen sehen manche das Zusammenfügen der Paare symbolisiert. Markku gefällt es sehr, dass seine Ausstellung jenseits aller Fachkompetenzen und Ernsthaftigkeit auch so symbolisch genutzt wird.
Wir treten nach draußen. Hier auf dem Vorplatz steht eine große Skulptur, die Markku uns noch zeigt:
troijan puuhevonen
, das Trojanische Pferd. Eine Auftragsarbeit von Mauno Hartmann, einem berühmten finnischen Bildhauer. Mauno benutzt Balken und Holz aus Abrisshäusern, arbeitet sehr rau mit dem Material und bearbeitet es mit Kettensäge und Äxten.
Wir betrachten noch einmal diesen auch von außen sehr schönen Klinkerbau. Das ganze Haus ist eine Liebeserklärung nicht nur an den Werkstoff Holz, sondern auch an den Baum an sich, an die endlosen finnischen Wälder und jeden Baum weltweit.
Ilse empfängt uns zu Hause ungeduldig mit einem: »Wo sin’ gie denn de ganz tied e wäsen? Häbt gi jau verlopen?!« Wo seid ihr denn die ganze Zeit gewesen? Habt ihr euch verlaufen?
Nein, Ilse. Ganz im Gegenteil.
Dann marschieren wir gemeinsam mit Axel und Viivi noch mal zum Vesijärvi. Wieder will die Sonne nicht versinken. Dies ist unser letzter Abend. Wir sitzen im Hafen und schweigen.
Irgendwann bricht es aus Hermann
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