Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
zustimmend, worauf
Pirkko einer offenbar besonders guten Bekannten einige Worte ins Ohr flüstert und mir zu verstehen gibt, ich dürfe gerne noch weitere Becher zapfen.
Ich bin also schon zwei Stunden auf sahti , als die gesammelte Festgemeinschaft von Pertunmaa, an die dreihundert Personen sind es jedes Jahr, sich auf der Wiese vor dem Gemeindehaus eingefunden hat. Selbst die pubertierende Landjugend zeigt geschlossen Präsenz, viele von ihnen waschechte Death-Muggel mit schwarz gefärbten Mähnen, Blech in der Nase und dämonischen T-Shirts, auf denen für »Lordi«, »Sméagol« oder »Anthrax« geworben wird. Diese Satanisten werden mir ewig ein Rätsel bleiben. Ich meine, wenn schon ein religiöses Bekenntnis, weshalb dann für eine Gestalt aus der zweiten Garde?
Aber sei’s drum. Fröhlich nippend beobachte ich das muntere Treiben aus Grillwurstverkauf und Textiltombola. Direkt neben mir sitzt Raimo und macht mich für den Gummistiefelweitwurfwettbewerb heiß. Raimo, der Bruder meiner Frau, fünf Jahre älter als sie und auch fünf Zentimeter größer, ist seit Jahren der unangefochtene Champion.
»You know, it’s about reputation«, erklärt er und gewährt mir eine kurze Einführung in die Kunst des finnischen Stiefelschleuderns. »You have to hold the boot like this, at the top«, führt er mir vor und presst seinen Cognac-Zigarillo mit dem Daumen fest gegen die übrigen Finger seiner Hand. »Understand, hold it strong, very strong!«
Ansonsten soll ich mich ganz an der Technik des Diskuswerfens
orientieren. Zwei, maximal drei explosive Umdrehungen, und dann den Stiefel mit aller Kraft in die Weite des Feldes schleudern. »Like Lars Riedel, you know. Strong!«
Klar, strong, das mache ich und sehe mich trotz offenbarer Reichweitennachteile aufgrund meiner besonderen technischen Gewandtheit bereits als strahlender Überraschungssieger.
Raimo besorgt noch einen Becher sahti , während ich mit Cognac-Zigarillo im Mundwinkel dem beginnenden Kinderwettbewerb folge. Abweichend von den Vorgaben ihres Vaters laufen meine zukünftigen Neffen Osku und Vote in gerader Linie an und befördern den Stiefel nach einer kurzen, kricketähnlichen Schwungbewegung knapp über die 20-Meter-Marke. Ist eben die Kindertechnik. Klar.
Endlich ist es so weit. Als Gast darf ich die internationale Herrenkonkurrenz eröffnen. Noch ein letztes Schlückchen, dann geht es schwingenden Schrittes zur Tat. Feierlich wird mir das Wurfobjekt überreicht, ein schwarzblauer Stiefel von mindestens einem Meter Länge mit Hartgummikappe und einer zehn Zentimeter dicken Winterreifensohle, Schuhgröße 47. Es ist ein NOKIA Kontio, wie ich später erfahre, und damit der Rolls-Royce unter den finnischen Gummistiefeln.
Schwer, immer schwerer ruht der Kontio in meiner Daumenpresse. Es wird jetzt ganz still auf dem Festplatz. Unter den gespannten Blicken der Dorfgemeinschaft vollführe ich zunächst einige absolut chefmäßige Original-Lars-Riedel-Aufwärmbewegungen,
lege den Stiefel darauf noch einmal ab, schlage mir kräftig auf beide Backen, wie man es aus dem Fernsehen kennt, setze von Neuem an und spüre bereits zu Beginn der ersten Rotation, wie der Kontio meiner Daumenklemme zu entgleiten droht. Ich drehe umso kräftiger weiter, nehme volle Geschwindigkeit auf und feuere den Stiefel nach einer dritten Teufelsumdrehung dem wenige Meter hinter mir postierten Kampfrichter Olle Sundberg direkt in die Fresse.
Es gäbe gewiss andere Weisen, das zu sagen, würde am Sachverhalt aber nichts ändern.
Als Olle zehn Minuten später wieder zu Bewusstsein kommt, versichert er in seiner schwedischen Muttersprache, es gehe ihm gut ( Jag mår bra, jag mår bra! ), er wolle weiter kampfrichten, was gewagt erscheint, denn trotz starker Schwellung wird auf seinem Nasenrücken eine deutliche Kerbe sichtbar. Das Blut fließt noch immer in Strömen.
Auch mir ist nicht wohl, zunächst natürlich des Schocks wegen, dann aufgrund eines nicht enden wollenden Rotationsgefühls. Vor allen Dingen aber muss ich, wie von einer fremden Macht gesteuert, die ganze Zeit kichern und gackern, als Raimo mich zurück zu den Holzbänken zerrt, sogar laut auflachen.
» Tämä on meidän Rami, on saksalainen «, erklärt er der Ortsgemeinschaft, die mir darauf verständnisvoll und, wie mir scheint, sogar wohlwollend unter wiederholtem Schulterklopfen einen Platz in ihrer Mitte einräumt.
Was ich nicht wusste und auch nicht wissen konnte: Die Sundbergs und die Päiviös
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