Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
Vom Netzwerk:
sind seit vier Generationen verfehdet. Olles Großvater, Edvard Sundberg, hatte der Großmutter von Aulis, Tiltu Niklander, als diese noch eine junge Frau war, aus Gründen, die nie so recht ans Licht kommen wollten, zu Beginn des Jahrhunderts das schönste Seegrundstück aus seinem Landbesitz zu einem ausgesprochen günstigen Preis verkauft (anderen Quellen zufolge sogar geschenkt!), und auf ebendiesem Grundstück steht heute Aulis’ digitales Komfort-Mökki. Die umliegenden, weniger günstig gelegenen Parzellen aber sind bis heute im Besitz der Sundbergs, einem alten schwedischen Geschlecht mit weitläufigen Ländereien als Familienbesitz - von damals noch, aus der Zeit der schwedischen Besatzung.
    Olle Sundberg lässt es nun seine spezielle Freude sein, den Forst um die Päiviö-Hütte besonders nachlässig zu behauen. Die angrenzenden Birken, Kiefern und Fichten sind deshalb mittlerweile so dicht und hoch gewachsen, dass kaum noch Sonnenlicht auf die Terrasse des Päiviö-Mökki dringt. Seit Jahrzehnten bietet Aulis immer wieder an, er werde die Bäume eigenhändig fällen, entzweigen und in feine Quader, motti , gehackt den Sundbergs anliefern, allein Olle verweigert ihm die Erlaubnis. Es ist seine kleine, späte Rache für den Verlust des Seegrundstücks.
    Die Sundbergs sind in Pertunmaa allgemein recht unbeliebt, gelten als hochnäsig, hinterhältig und arrogant. Es ist, wir wissen es alle, enorm wichtig, mindestens eine Familie in der Nachbarschaft so richtig hassen
zu können. Bei uns zu Hause sind das die Dörners. Hier eben die Sundbergs.
    Alle waren also recht bestürzt ob des Unglücks, das den selbstlos dienenden Olle ereilt hatte. Man pflegte ihn mit Küchenrollen für die Nase und Eiswasser für das Genick, während ich mit immer breiterem Grinsen und unter zunehmend inkohärenten Sätzen wie » Ei ole Absicht« oder » Minä olen really sorry« von den Elchjägern Pertunmaas zu weiteren sahti eingeladen werde. Es war ja auch ein Jagdunfall, sozusagen.
    Raimo schleudert den Kontio mit einer Mischtechnik aus frontalem Anlauf und einfacher Rotation unter den strengen Augen der neu ernannten Kampfrichterin Pirkko Päiviö auf die neue Rekordweite von achtunddreißigeinhalb Metern, während Olle, da die Blutung nicht zu stillen ist und er sich zudem hat übergeben müssen, von seinem Sohn Joel im mit großer Wahrscheinlichkeit einzigen Saab Cabrio Mittelfinnlands ins nächstgelegene Krankenhaus nach Jyväskylä transportiert wird.

ÜBER MITTELERDE...
    D as Gemeindehaus zu Pertunmaa, als Ort der geschilderten Ereignisse, liegt im Herzen der Provinz Keski-Suomi. Keski-Suomi bedeutet wörtlich übersetzt Mittelfinnland. Wegen der einzigartigen, Jahrmillionen alten Felsen aus Muttergestein, die majestätisch aus den Seen dieses finnischsten aller finnischen Landstriche ragen, sprechen die Einheimischen von ihrer Region bisweilen auch als keski-maa - also der Mittelerde. Über die Neigung des Finnen, sein Land mit dem gesamten Planeten gleichzusetzen, haben wir ja schon kurz gesprochen.
    Stellen wir uns nun einen Völkerkundler oder Folkloristen vor, wie er sich auf Holzbänken während des Elchjägerfests zu Pertunmaa eifrig Notizen macht und seine Eindrücke später in einem kurzen Bericht zusammenfasst, so könnte sich solch ein Text wie folgt lesen:
    Die Finnen sind ein unauffälliges, aber sehr altes Volk, denn sie lieben Frieden und Stille und einen gut bestellten Boden: Eine wohlgeordnete und wohlbewirtschaftete
ländliche Gegend war ihr bevorzugter Aufenthaltsort. Sie haben ein feines Gehör und scharfe Augen, und obwohl sie dazu neigen, Fett anzusetzen und sich nicht unnötigerweise zu beeilen, sind sie dennoch flink und behände in ihren Bewegungen. Von Anfang an beherrschten sie die Kunst, rasch und geräuschlos zu verschwinden. Ihre Fähigkeit, sich zu verflüchtigen, beruht allein auf einer durch Vererbung und Übung und innige Erdverbundenheit so vollkommenen Geschicklichkeit, dass sie unnachahmlich ist. Ihre Gesichter waren in der Regel eher gutmütig als schön, breit, mit glänzenden Augen, roten Wangen und Mündern, die immer zum Lachen und Essen und Trinken bereit waren. Der Ursprung der Finnen reicht weit zurück in die Altvorderenzeit, die jetzt vergangen und vergessen ist. Doch ist es klar, dass die Finnen in Wirklichkeit schon viele lange Jahre friedlich in Mittelerde gelebt hatten, ehe ein anderes Volk sie auch nur bemerkte. Und da die Welt schließlich von unzähligen seltsamen

Weitere Kostenlose Bücher