Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Meidän askeleet sopii niin hyvin yhteen. (Unsere Schritte passen aber gut zusammen.) Wer im Verlauf des Abends bestimmte Interessen entwickelt, muss sich indes bis zum letzten Tanz gedulden, denn nur ihn zu gewähren bedeutet etwas - möglicherweise.
Bei einem Tangoabend 1962 in Järvenpää mit dem großen, unvergessenen Reijo Taipale lernten sich einst auch Aulis und Pirkko kennen. Ich verdanke dem Tango also, klassisch für diese Generation, das Dasein meiner finnischen Frau.
Musikalisch eine Mischung aus russischer Romanze und deutscher Marschmusik, verbindet der finnische Tango nordische Naturlyrik ( Die Rose von Kotka ) mit exotischen Sinnesfantasien ( Fata Morgana ), ländliche Liebeleien ( Nacht hinterm Fenster ) mit ersten Frustrationen modernder Technik ( Warum schweigt das Telefon? ). In dem berühmtesten aller Tangos aber schwärmt das lyrische Ich von einem fernen Märchenland, satumaa , weit hinter der stürmischen See liegt es, »wo die schönsten
Blumen immer blühen ohne End«. Doch bleibt diese Insel natürlich auf ewig unerreichbar und damit auch die dort wartende Geliebte: »Flieg, o Liedchen, in die Ferne wie ein Vöglein, sag, dass nur an sie ich denke, nur an sie allein.«
Sie merken, die Sache hat Anspruch, besitzt wahre Tiefe - und weiß sich damit Welten entfernt von den pathetischen Päderastenfantasien eines Rex Gildo, Bata Illic oder Peter Kraus. Sugar Sugar Baby war übrigens die erste Platte, die sich meine Mutter einst als junges Mädchen kaufte. Wieder und wieder ließ sie die Single in ihrem Zimmer spielen, bis der Plattenspieler den Geist aufgab. Was meinen Vater betrifft, so war ich als Fünfjähriger auf dem Vordersitz eines Einkaufswagens persönlich Zeuge, wie er in der Tonträgerabteilung des Karlsruher Wertkauf die erste und einzige Musikkassette seines Lebens erwarb. Es handelte sich um Ennio Moricones Filmmusik zu Spiel mir das Lied vom Tod .
Meine Eltern haben sich daher auch nicht beim Tanzen kennengelernt, sondern an einer Straßenbahnhaltestelle vor dem Freiburger Amtsgericht.
Ach, Finnland, du hast es besser!
»Nonniiii!«, ruft meine Frau anerkennend aus: »Oikein hyvin tanssitaan!«
Klar kann ich Tango tanzen, braucht sie gar nicht so zu tun. Schließlich muss ich heute nicht zum ersten Mal ran - wie sie nur zu genau weiß.
ZUNGEN
N ow Rami, we dance!«
Die Stimme, die das sagt, gehört Virpi, und Rami, Rami, das bin ich. Rami ist mein finnischer Vorname, was vor allem phonetische Gründe hat. Denn der Finne, er hat so seine Schwierigkeiten mit dem deutschen Gaumen-R. Es existiert in seiner Sprache nicht. Im Finnischen wird das R auf der Zungenspitze mit einer leichten Trillerbewegung erzeugt wie im Spanischen auch: Rovaniemi, Räikkönen, Raúl, Ronda (initiales, alveolares Zungenspitzen-R). Und es ist, Sie können es gern selbst einmal ausprobieren, keine so leichte Sache, unmittelbar nach einer lf-Kombination ein Zungen-R zu erzeugen. Die ungeübte Zunge gerät bei »Wolfram« regelmäßig in Schwierigkeiten, verschluckt sich bisweilen sogar.
Bereits nach wenigen Wochen im Norden habe ich deshalb entschieden, den »Wolfram« (friktionelles Gaumen-R) durch den verwandt klingenden »Rami« zu ersetzen. Zuerst hatte ich an eine direkte Übertragung von »Wolf« gedacht, aber Wolf heißt auf Finnisch susi - und Susi wollte ich nicht heißen.
» Minä olen Rami«, stelle ich mich also seit vielen Jahren vor. Dass ich aus Deutschland stamme, muss ich dann meist gar nicht mehr erklären, das hat das finnische Ohr schon gehört, an der Gaumenerzeugung meines R in »Rami« nämlich, und so wird meist unmittelbar auf Englisch weitergesprochen. Phonetisch gesehen ein fairer Kompromiss, denn das englische R ( R ochester, R ooney) wird zwischen Zungenspitze und Gaumen gebildet, was sowohl Deutsche wie Finnen in der Regel problemlos bewältigen.
Soviel also zur Flexibilität der finnischen Zunge.
»Now we dance, Rami!«, befiehlt Virpi und zerrt mich auf den gut gefüllten Holzboden des Gemeindehauses von Pertunmaa. Es ist gegen Mitternacht, und Veikko Lahtinen und sein tango-orkesteri sind von ihrer letzten Pause auf die Empore zurückgekehrt.
Gerade gehen kann meine Tanzpartnerin nicht mehr, aber Virpi ist die Gattin meines zukünftigen Schwagers und, aufs Ganze gesehen, zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Festivität in meinen Armen wohl noch am besten aufgehoben. Virpi trägt einen engen schwarzen Minirock und anstatt einer Mohnblumenbluse
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