Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
ein neonpinkfarbenes Polyestertop. Wie jedes Jahr zur Zeit des Elchjägerfestes hat sie ihren Pony farblich exakt auf die Oberbekleidung abgestimmt und also grellpink gefärbt.
»Oooh, you are such a good dancer, Rami«, bläst mir Virpi den Rauch ihrer extralangen Mentholzigarette ins Ohr.
Es geht nicht um mich, das begreife ich wohl. Ich bin einfach ein Stück männliches Fleisch, das sie im Arm halten soll. Pony heißt auf Finnisch übrigens otsatukka , was ich immer wieder lustig finde, fast so lustig wie das Wort pimpulit , das bedeutet Unterhosen. Aber greifen wir nicht vor …
Ich muss Ihnen gewiss nicht eigens erklären, dass unser kaum kontrolliertes Stolpern zwischen dezent ausweichenden Seniorenpärchen meiner finnischen Vorstellung von »einem Arsch von mich selbst machen« denkbar nahe kommt. Es liegt nicht allein an Virpi, denn zu dem Zeitpunkt, da sie ihre jährliche Aufforderung an mich richtet, sind die Bewegungen auch meiner Extremitäten meist ungewohnt schwungvoll und ausladend. Und daran ist nur der sahti schuld. Der sahti ganz allein.
Sie mögen von diesem Getränk noch niemals gehört, geschweige denn gekostet haben. Aber sehen Sie, da fängt es schon an: sahti nämlich ist kein Getränk, sondern viel eher ein Trank, der nur im Herzen Mittelfinnlands in versteckten Schobern von steinalten Bäuerinnen nach geheimem Rezept zu ausgesuchten Anlässen gebraut wird - illegal übrigens, aber auch das bleibt unter uns.
Mit Weizen und Hopfen als Kernzutaten gärt der sahti in mannshohen Stahlzylindern und könnte in seiner goldbraunen Färbung auf den ersten Blick mit einem deutschen Hefeweizen verwechselt werden. Der sahti ist jedoch deutlich zähflüssiger und von süßlichem Geschmack. Sein Alkoholgehalt von 15% - der Finne spricht im Zusammenhang gern von Pferdestärken, hevosia - lässt die eigentliche Kraft und Wirkung dieses Trankes
nicht einmal erahnen. Denn sahti ist anders. Und wie so vieles in diesem Land nimmt er sich seine Zeit.
Die ersten zwei, drei Stunden schweigt er geduldig, lässt nichts von sich hören, nutzt diese Phase aber, um sich näher und näher an das zentrale Nervensystem heranzutasten. Das Koordinationssystem wird zunächst nicht etwa geschwächt und irritiert, wie normaler Alkohol es tut, nein, sahti verleitet zu freudvoller Expressivität und höchst persönlichen Bewegungsformen, die dem erfassten Individuum - worin die größte Gefahr liegt - zudem ungemein bedeutungsvoll und vor allem elegant erscheinen. In einer zweiten Wirkungsstufe führt er in eine fokussierte Intensität, die, da nicht selten von leichten Halluzinationen begleitet, einen vollkommen neuen Zugang zur Welt der Dinge freigibt.
In den späten Stunden des Elchjägerfestes zu Pertunmaa lassen sich deshalb jedes Jahr wieder reife Seniorinnen beobachten, die in wilden Pirouetten hysterisch lachend um die eigene Achse rotieren und dabei erregt in die Hände klatschen. Schweinezüchter suchen das intensive Gespräch mit Zeltstangen oder verlieren sich auf allen vieren in den komplexen Mustern handgehäkelter Topflappen. Von Waldorf nach Woodstock in sechs Stunden, der sahti vermag es.
Von all dem wusste ich beim ersten Mal natürlich nichts. Meine finnische Frau hatte es mir tunlichst verschwiegen, sich mit besten Wünschen auf ein Jubiläumstreffen ihrer Meisterschaftskolleginnen von 1987 nach Lahti verabschiedet und mich damit für das Festwochenende mit Ukki und Mummi allein im Mökki zurückgelassen.
FOLGEN
B ereits zwei Stunden vor dem eigentlichen Festbeginn fahren wir im Fiat 500 auf dem Festplatz vor, denn Pirkko ist im Gemeindevorstand und lässt Aulis deshalb beim Aufbauen der Stände und Bänke mithelfen, während sie ihr reiches Sortiment von selbstgebackenen Broten, pullas und Sandkuchen sowie in langen Wintermonaten gefertigten Steppdecken zum Verkauf auslegt.
Ich sitze allein und ein wenig verloren auf einer der Holzbänke, als Pirkko plötzlich Zeichen gibt: »Rami , Rami , tuleppa tänne! «, greift sie meine Hand und führt mich an den Holztisch mit dem mannshohen Stahlzylinder.
» Ja tämä on meidän Rami«, stellt Mummi mich den anwesenden Landfrauen vor. Ich komme mir vor wie ein aus dem Tierheim abgeholter Cockerspaniel, der nun dringend etwas zum Schlabbern braucht. » Maista, Rami , maista, sahti on hirveän hyvää!« Pirkko reicht mir einen kleinen Plastikbecher.
Ich trinke, spüre, wie der Trank süß und kühl prickelnd auf meiner Zunge liegt, und nicke
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