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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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als ein Begriff. Wenn der angehende Schwiegersohn die Hechtsuppe der Patentante seiner zukünftigen Frau als die beste Hechtsuppe lobt, die er jemals gegessen hat (was nebenbei zutrifft, denn es ist die erste Hechtsuppe seines Lebens), so wird dies von der Hausmutter mit einem strengen höpöhöpö bedacht. Wenn der deutsche Student den dreijährigen Sprössling des benachbarten Schweinezüchters als offenbar hochbegabtes Kind bezeichnet, weil es sich das Lesen selbst beigebracht hat, nun: höpöhöpö . Wenn du durchnässt und frierend in die Hütte deiner Schwiegereltern trittst und erregt von einer Regenbogenforelle erzählst, gewiss vier Kilo schwer, einen halben Meter lang und so kräftig, dass sie beim Landeversuch das Stahlvorfach durchgebissen habe und also entwischt sei: höpöhöpö . Das frohe Jauchzen auf den Berggipfeln des Bärenwegs, es wird dir mit einem kalten höpöhöpö durchschnitten sowie mit dem Hinweis, es seien noch dreißig Kilometer zu wandern.
Und wenn du an einem verschneiten Morgen im späten April deine finnische Frau von der tief empfundenen Gewissheit in Kenntnis setzt, es werde nie wieder warm werden, sondern einfach immer kalt bleiben, auf ewig kein Frühling, kein Sommer, ob sie nicht begreifen könne, es sei aus, aus, aus, ja, auch dann wird sie dir mit einem tröstenden höpöhöpö zärtlich über die Stirn streichen.
    Höpöhöpö : halblang. Den Ball flach halten. Nur nicht übertreiben. Höpöhöpö ist der immer präsente Aufruf zur Mäßigung im Herzen der finnischen Kultur; höpöhöpö ist die gelebte Überzeugung, das Wesen der so genannten Wirklichkeit bestehe in nichts anderem, als unsere höchsten Wünsche in vernünftige Schranken zu weisen; höpöhöpö , das ist ein Leben ohne Superlativ, ist nicht mehr und nicht weniger als das ehrliche Bekenntnis zu unser aller Endlich- und also Menschlichkeit.
    Das war es, was ich im Zusammenleben mit meiner finnischen Frau schon bald befreiend begriff und begreifen wollte, sodass ich nur wenige Wochen später, nachdem ich in den frühen Morgenstunden einer andalusischen Juninacht meine endgültige Erschöpfung durch ein sanftes höpöhöpö signalisiert hatte, einfach nicht mehr anders konnte, als sie zu fragen, wie man jenen einen Satz in ihrer Sprache bilde, jenen einen magisch zarten Satz, der doch als erster und schönster einer jeden Zunge gelte dürfe.
    Auf diese meine Frage entgegnete sie so ernst wie nachdenklich, dass es diesen Satz im Finnischen nicht gebe.

    »Was meinst du damit, es gibt ihn im Finnischen nicht?«
    »Na ja, es gibt ihn schon, aber man sagt es nicht.«
    »Wie? Die Finnen sagen einander nicht, dass sie sich lieben?«
    »Nein.«
    »Was machen sie denn dann?«
    »Sie zeigen es.«
    »Aber manchmal, manchmal muss man es doch sagen.«
    »Weshalb?«
    »Na, damit die Geliebte es weiß und damit der Liebende nicht platzt«, versuchte ich zu erklären.
    Doch sie war nicht zu überzeugen. Sie habe die letzten fünf Jahre in Amerika gelebt und diesen Satz dort unzählige Male gehört (ich fragte nicht, wie oft) und: »You know what: In English it doesn’t mean shit«, sagte meine nachthemdlose finnische Frau. Sie hingegen habe diesen Satz noch nie geäußert und auf Finnisch auch nur ein einziges Mal mit eigenen Ohren gehört, und zwar als sie ihren Vater im Krankenhaus besuchte. Mit Sauerstoffbrille und an unzählige Kabel angeschlossen, lag er nach einem Herzinfarkt auf der Intensivstation, nicht wissend ob er den nächsten Tag noch erleben werde, und da, in diesem Moment, da habe er sie bei der Hand genommen und es gesagt, das erste und einzige Mal in seinem Leben, erzählte meine finnische Frau.
    So lagen wir still, gewiss eine zärtliche Stunde lang, kein Wort brach die Ruhe, bis sie plötzlich aus dem kalkweißen, von der aufgehenden Sonne schon rot schimmernden Steinbett hinüber zum Tisch sprang, nach
einem der letzten verbliebenen Post-its griff, rasch drei Worte darauf schrieb und ins Bett zurückehrte.
    »Da! Für dich!«
    » Mi-nä-ra-kas-tan si-nua , spreche ich das richtig aus?«
    »Nein: Mínä rákastan sínua . Betonung im Finnischen immer auf das ersten Silbe!«
    »Also: Minä rakastan sinua . Minä rakastan sinua .«
    »Hyvä! Minä rakastan sinua.«
    »O ikein hyvä , meine Schöne, oikein hyvä .«
     
    Und das war er, der Morgen, an dem meine Frau mir ein für alle Mal beibrachte, dass es in der finnischen Liebe keinen Unterschied zwischen sagen und zeigen gibt.

OHNE WORTE
    A cht Silben

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