Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
benötigt das Finnische also für das Liebesbekenntnis. Soweit ich es übersehe, ist das Europarekord. Die romanischen Sprachen ( Je t’aime, Ti voglio bene, Te quiero ) schaffen es in zwei oder drei, die germanischen ( I love you, Ich liebe dich, Jag älskar dig ) in drei oder vier, die slawischen in fünf ( Ya lyublyu tebya ), das Ungarische als nächster Sprachverwandter benötigt maximal sechs Silben ( Én téged szeretlek ).
Finnisch aber: acht! Minä rakastan sinua .
Das will schon was heißen, vor allem wenn man bedenkt, dass jede einzelne Silbe voll ausgesprochen werden muss. Finnisch lässt sich nämlich nicht nuscheln. Jeder Buchstabe ist wichtig, trägt tiefe Bedeutung. Keine andere Sprache, haben Linguisten festgestellt, vermittelt im Schnitt mehr Sinn pro Buchstabe als das Finnische. Die Finnen sind also gar nicht so schweigsam, wie es den Anscheint hat. Sie sagen einfach mit weniger mehr. 2
Recht verstanden, ist das Finnische nichts anderes als ein über Jahrtausende sorgsam kultivierter Vorbehalt gegen den Wert des Sprechens selbst und damit eine der feinsten und paradoxesten Errungenschaften des menschlichen Geistes.
Ymmärämmekö ?
Ich habe meine finnische Frau zum Beispiel auch einmal gefragt, wie sich das deutsche Verb »ausdiskutieren« wohl übersetzen ließe, denn das ist ja ein überaus wichtiges Wort für meine Generation, der schon ab der dritten Klasse täglich eingeschärft wurde, die wichtigen Fragen im Leben müssten »gemeinsam ausdiskutiert« werden.
Es war ein seltsames Gespräch. Ich bin nicht einmal sicher, ob es mir überhaupt gelungen ist, meiner Frau zu erläutern, was ein deutscher Mann will, wenn er etwas »ausdiskutieren« will, in jedem Fall scheint es keine Entsprechung zu geben. Für so einen Unsinn ist im Finnischen einfach kein Platz vorgesehen. Ich meine, fragen Sie sich ruhig selbst einmal: Haben Sie in Ihrem Leben, vor allem aber mit Ihrem Lebenspartner, schon jemals etwas - irgendetwas - erfolgreich ausdiskutiert?
Na also.
Der Finne ahnt dies und fängt gar nicht erst an. Der überwiegende Teil der Menschheit neigt ja ganz allgemein zu der Wahnvorstellung, sprachliche Kommunikation sei dem gegenseitigen Verständnis zuträglich. Nicht so der Finne. Nach finnischer Sicht verhält es sich vielmehr umgekehrt. Bereits das Gefühl, etwas sagen zu wollen, ist ein untrüglicher Beweis dafür, einander nicht mehr zu verstehen, sich mit einem anderen Menschen
gerade nicht mehr in störungsfreiem Einklang zu befinden - und was soll schon Gutes dabei herauskommen, wenn zwei Menschen, die sich ohnehin nicht mehr verstehen, auch noch anfangen, miteinander zu reden?
Der weise Hang zu verbaler Sparsamkeit betrifft selbst elementarste Höflichkeitsformeln. So wünschen sich Finnen beispielsweise auch keinen »Guten Appetit«. Böse Zungen behaupten, es läge schlicht daran, dass es keine finnische Küche gibt - was zwar stimmt, aber recht bedacht ist es nun einmal so: Ein guter Appetit lässt sich nicht herbeiwünschen. Wer aber wirklich Appetit hat, wird durch den geäußerten Wunsch nur gehindert, sein Bedürfnis ungestört zu stillen. Und das soll dann höflich sein? Finnen ziehen aus diesen Fragen die richtigen Schlüsse und beginnen ihr Mahl in der Regel wortlos.
Nach all diesen Analysen will ich natürlich nicht verschweigen, rein sprachlich gesehen das frühverliebte Post-it-Stadium niemals verlassen zu haben. Ich spreche nach wie vor so gut wie kein Finnisch und verstehe also auch meine Frau nicht, sofern sie Finnisch spricht. Nur deshalb, glaube ich manchmal, sind wir überhaupt noch zusammen. Jedenfalls habe ich im Laufe der Jahre die Beobachtung gemacht, dass sich interkulturelle Pärchen just zu dem Zeitpunkt zu trennen pflegen, da einer der beiden die Sprache des anderen endlich fließend erlernt hat.
Möglicherweise ist es also nur eine Frage der Zeit. Nach einigen Jahren - und so lange dauert es ja, eine
fremde Sprache wirklich sprechen zu lernen - ist für die meisten Pärchen Schluss. Aber meiner Vermutung nach liegt es auch daran, dass sich mit der erlernten Fähigkeit, den Geliebten oder die Geliebte in dessen oder deren Muttersprache verstehen zu können, die einst so anziehende Fremdheit des anderen getilgt wird, wobei an die Stelle dieser nun für immer verlorenen Faszination der Fremde nichts anderes tritt als die Zumutung, den Partner in seiner ganz gewöhnlichen Alltäglichkeit anzunehmen.
Ich bin wirklich nicht sicher, ob ich wissen
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