Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
will, was meine finnische Frau mit ihrer alten Schulfreundin Minna so bequatscht und bekakelt, ich will nicht wissen, mit welcher Melodie oder gar welchem Dialekt sie an den Fischtheken der Joutsaer Supermärkte Kontakt zur Verkäuferin aufnimmt, um beispielsweise extra noch einmal nachzufragen, ob der Lachs im Sonderangebot auch wirklich nicht aus Norwegen kommt. Und das Deutsch meiner Frau ist nun auch nicht so gut, dass es für die Wahrnehmung dieser feinen und meist unangenehmen Nuancen in meinem Sprechen ausreichen würde.
Was ich sagen will: Wo andere Paare durch eine geteilte Sprache ständig Diskussionsbedarf verspüren und einander in allen Einzelheiten erkennen und entlarven müssen, besetzten wir die durch partielle Sprachlosigkeit entstandenen Leerstellen einfach mit den jeweiligen Idealbildern des anderen. Anstatt differenziert zu streiten, schweigen wir uns im Zweifelsfall einander schön, getragen von der urfinnischen Einsicht, die wahren Probleme
des Lebens, vor allem aber einer Ehe, seien ohnehin nicht sprachlich zu lösen.
Aber wahrscheinlich ist diese These selbst nichts anderes als eine Idealisierung, auf die meine finnische Frau einmal mehr mit einem sanften höpöhöpö reagieren würde sowie der strengen Ermahnung, ich solle endlich anfangen, anständig Finnisch zu lernen, denn dann bräuchte ich mir all diesen Unsinn nicht länger auszudenken.
GEHEIMNIS
A ulis und Pirkko, die Eltern meiner finnischen Frau, scheinen dem finnischen Liebesideal wortloser Harmonie bereits denkbar nah gekommen, denn soweit ich es beobachten kann, reden die beiden überhaupt nicht mehr miteinander. Ihr Alltag gleitet so sanft und still dahin wie ein Schlitten im Schnee. Solch ein Zustand totaler Übereinstimmung, der ein vollkommenes, weit über Galanterie hinausgehendes Wissen um die Wünsche und Bewegungen des anderen mit einschließt, ist natürlich nur denkbar, wenn der geteilte Alltag einfach und regelmäßig ist - was der Finne allgemein sehr schätzt.
Das nackte Überleben im Nordwald ist an sich schon anforderungsreich genug, da braucht man nicht noch Pirouetten zu drehen, gar eine differenzierte Individualität oder ähnlichen Firlefanz auszuprägen. Nein, in der finnischen Liebe durchdringen sich die Lebensmuster von Mann und Frau in der ewig fortschreibbaren Regelmäßigkeit eines Streifenhemdes von Marimekko.
Monotonie ist Trumpf.
Den Augen eines ungeübten, das heißt fremden Beobachters mag eine finnische Idealbeziehung deshalb auf den ersten Blick als traurigste Form des Miteinanders erscheinen, gar als eine Beziehung, in der sich die Partner nichts mehr zu sagen haben - ein Zusammenleben im Zustand des Kältetods. Und tatsächlich, wenn die gute Mummi dem guten Ukki jeden Morgen wieder wortlos den Dreieinhalb-Minuten-Haferbrei auftischt, Ukki ihn wortlos löffelt, Mummi sich in ihre Frauenzeitschrift Kotiliesi vertieft, Ukki den tiefen Teller schweigend in die Spüle stellt, darauf wortlos ins pömpeli abwandert, Mummi sich daraufhin an die erste Computerpatience des Tages setzt und später den Teig für das Nachmittags- pulla ausrollt, das sie Ukki servieren wird, sobald er die Kartoffeln des Tages aus dem Kelleraum neben dem pömpeli nach oben geschafft hat, so scheint die Grenze zwischen totaler Harmonie und vollkommener Gleichgültigkeit auch vor meinen Augen seltsam zu verschwimmen wie die zwischen friedvoller Übereinkunft und hoffnungsloser Selbsteinkehr, zwischen bedürfnisloser Seligkeit und still ertragener Verzweiflung. Wie in einem Kippbild erscheint mir Aulis’ stilles Frühstückslächeln dann bald endlos entspannt oder aber hoffnungslos erstarrt. Wie eine eisige Windböe erfasst mich in diesen Momenten hin und wieder der Zweifel, ob ich diese Menschen und ihre Kultur jemals auch nur im Ansatz begreifen und verstehen werde.
Aber soll ich darüber mit meiner zukünftigen Frau reden? In der Nacht vor unserer Hochzeit?
»Schöne, schläfst du schon?«
»Nein.«
»Viktor hat es als Erster gemerkt.«
»Hat er.«
»Vielleicht hat er es auch nur als Erster gesagt.«
»Juu.«
Viktor, mit vollem Namen Dr. Dr. Viktor Minderer, ist promovierter Psychiater und Psychologe, der langjährige Freund, besser gesagt, Exfreund meiner Schwester und in der Folge auch ein langjähriger Freund von mir und meiner finnischen Frau. Außer meiner Mutter hatte niemand etwas dagegen, ihn einzuladen. Meine Mutter konnte Viktor nie so recht leiden, was insbesondere an seinem Gesprächsverhalten
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