Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
ich wohl dereinst unsterblich lieben und heiraten würde.
Es schien mir wahrscheinlich, dass meine zukünftige Frau just zu diesem Zeitpunkt auf irgendeinem Schulhof der Stadt oder des Landes ihr Lyonerbrot aß oder sich - was die schönere Vision war - anmutig in komplizierten Springseilvariationen erging. Irgendwo lebte, lachte und atmete sie, und irgendetwas tat und dachte sie jetzt, doch weder sie noch ich ahnte etwas von unserer gemeinsamen Zukunft als Erwachsene. Ich empfand diesen Gedanken als berauschend, da er mir einen plastischen Eindruck von der fundamentalen Offenheit meiner noch jungen Existenz vermittelte.
Jedenfalls nahm ich mir fest vor, mich am Tag meiner Hochzeit an die Runde im Park zu erinnern, um über die kindischen Gedanken und Träume meines zehnjährigen Selbst schmunzeln zu können.
Ob ich allerdings auch geschmunzelt hätte, wäre mir in meinen damaligen Gespinsten eine eins fünfundneunzig
große Finnin mit Topffrisur erschienen, die sich in einer der unterkühlten Vorortturnhallen Helsinkis ungelenk an Korblegern versucht, wage ich zu bezweifeln. Ich hätte es wohl eher für den schlechten Scherz eines bösen Dämons gehalten.
»Wo bist du, mein Mann?«, bückt sich meine Frau über das Holzbett und blickt mir direkt in die Augen.
Es ist eine Frage, für die ich sie besonders liebe, denn auf diese Frage kann ich immer mit »in Gedanken« antworten. Weibliche Wesen aus anderen Ländern, insbesondere meinem eigenen, erliegen in vergleichbaren Situationen ja regelmäßig dem Drang, mit einem »Und was denkst du gerade?« nachzuhaken, gar ein ernsthaftes Abendgespräch zu suchen, aber einer Finnin kommt so etwas nicht in den Sinn. In der Kultur meiner Frau gilt die Frage »Was denkst du?« von jeher als echter Scheidungsgrund.
Sie bringt insgesamt viel Verständnis auf für den seltsamen saksalainen , der rücklings auf der dünnen Schaumstoffmatratze des unteren Stockbetts liegt und selbstvergessen in einem der zahlreichen Löcher seines weiß-blauen Streifenhemdes pult - es ist das gleiche weiß-blaue Hemd, das er vor sieben Jahren trug, als man das erste Mal zusammen ausging. Gleich zu Beginn des Abends ließ es sie denken, ein deutscher Mann, der freiwillig Streifenhemden trage, könne so übel nicht sein, weshalb sie ihm nur wenige Stunden später die wenigen steilen Treppen hinauf zu seiner angemieteten andalusischen Kleinstwohnung gefolgt war und auf den unsicher
vorgetragen Einwand des Deutschen, dort oben gebe es aber nur ein einziges und dazu noch sehr schmales Bett, entgegnet hatte: Das macht doch nichts.
Das denkt ihr deutscher Mann im Moment, und er erinnert sich daran, wie seine finnische Frau bereits am Morgen danach damit begann, sämtliche Gegenstände des spanischen Appartments mit gelben Post-its zu bepflastern, sodass ihm der Kühlschrank bald auch als jääkaappi ins Bewusstsein trat, der Stuhl zum tuoli wurde, die Dusche zur suihku , die Zahnbürste zur hammasharja , das Brot zum leipä , die Wurst zur makkara und die immersüßen Erdbeeren zu mansikat .
Wie Adam und Eva im Paradies gaben sie den Dingen neue Namen, erschlossen sich eine neue Welt in der Sprache des anderen, weil die Liebe, nicht wahr, ja das gesprächigste unter allen Gefühlen ist. Und es war ihm in diesen magischen Tagen tatsächlich so vorgekommen, als würde er das Sprechen ganz von Neuem erlernen, ja, es schien ihm sogar, als ob er die Bedeutung der Dinge, die ihn umgaben, erstmals überhaupt wirklich erfasste und in ihrem Wesen begriff, da seine Augen nun sahen, was ihre Augen sahen, und somit alles auf wundersame Weise eins und verständlich wurde.
Schon bald erzählte er seiner finnischen Liebe - es war wohl beim Anblick eines Pfirsichs, eines melocotón , eines persikka - von seinem neu gefundenen Glauben, dass Worte ja nur dann etwas bedeuten, sofern sie an einen anderen Menschen gerichtet werden, einen Menschen, der ganz und gar verstehen will, und dass deshalb, begreife man es recht, die Liebe die Grundlage allen
Sinns und aller menschlichen Sprachen sei, worauf ihn seine finnische Frau ein neues Wort ihrer Sprache lehrte, ein Wort, das ihn seither begleitet, ja, seine Existenz prägt und bestimmt, denn auf die zu schön scheinenden Überlegungen des Liebenden erwiderte sie damals nur ein tonlos finnisches: höpöhöpö .
HÖPÖHÖPÖ
A n höpöhöpö lässt sich kein Aufkleber befestigen, und übersetzen lässt es sich auch nicht. Höpöhöpö ist viel eher eine Lebenshaltung
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