Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
eines partnerschaftlichen Schlüsselsignals erhalten. Eine Art kulturspezifischer Schnauzentriller, wenn Sie verstehen, was ich meine.
KUGELMENSCHEN
J a, Jürgen, jaaa Jürgen, jajajajaaaah …«
» Minä olen Rami, not Jürgen«, wiederhole ich. Aber Joni hört gar nicht zu.
»Jawohl Jürgen, jaaaaawohl!«, stöhnt er fort. »Uh ja! Uh ja! Jürgen! Das ist gut, uh ja, uuuuh jaja!«
Ich tue so, als bemerkte ich ihn nicht, und packe mein zweites Paar lange Unterhosen aus. Jetzt steigt Joni auf die Massagebank, zieht sein Hemd aus und kneift sich in beide Brustwarzen. Einige Mitspieler beginnen, rhythmisch zu klatschen.
»Oooooh Jürgen, oooooh Jürgen, festeeeeerrrrr, festeeerrrr, jawohl, jaaaawohl, Ih! Ih! Ih! Jürgen, Jürgeen, Jüüüüürrrrrgeeeeeeeeen!!!«
Joni ist gekommen. Allgemeines Grölen und Abklatschen. Als er auf seinen Platz zurückkehrt, klopft er mir fest auf die Schulter. »Ein bisschen Spaß muss sein, Jürgen!«, sagt er auf Deutsch.
Vollidiot. Ich ziehe dich auch nicht damit auf, dass dein Vorname auf Sanskrit Möse bedeutet! Natürlich sage ich das nicht, sondern grinse versöhnlich in die Kabinenrunde.
Schließlich will ich nicht gleich in meiner ersten Woche als humorloser saksalainen gelten.
Der Deutsche, Sie kennen das, hat es noch immer nicht leicht im Ausland. Ständig muss er Stellung beziehen, zu sich, seiner Herkunft und also dem widersprüchlichen Image seiner Kulturnation. Das finnische Deutschlandbild ist maßgeblich durch Luther, Kant, Hitler, Derrick, Jens Weißflog und Michael Schumacher geprägt. Auf den Satz »You burned Lapland« sollten Sie bei Ihrem Besuch in jedem Fall vorbereitet bleiben, ebenso wie auf Erkundigungen nach dem kategorischen Imperativ, in akademischen Kreisen sogar auf die Frage, was das eine Phänomen wohl mit dem anderen zu tun haben könnte. Aber natürlich gibt es auch immer wieder Ausreißer, vor allem in der jüngeren Generation, vor allem nach unten.
So kam es in den Kellerkneipen Turkus wiederholt vor, dass mir bei Nennung meiner Nationalität spontan das Lied Balls to the Wall der deutschen Hardrockguppe Accept vorgesungen wurde, inklusive eingesprungenem Luftgitarrensolo. Und dann gibt es noch Typen wie Joni, deren jugendliche Primärassoziationen wohl auf ewig mit dem Pornodeutsch Dolly Busters verbunden bleiben werden. Man kann sich das im Einzelfall nicht aussuchen. Genauso wenig wie Spitznamen.
»Darfst du nicht so ernst nehmen. Mir haben sie in Braunschweig immer Pasi genannt«, sagt Timo beim Gang auf das Trainingsgelände.
Timo spricht »ein bisschen Deutsch«. Als junger
Spieler hat er für zwei Jahr bei Eintracht Braunschweig »Vertrag gehabt«. Gespielt hat er allerdings nie. Der Trainer, sagt er, habe ihn nicht gemocht. Zu Beginn der zweiten Saison habe er sich dann das Bein gebrochen, sei umgehauen worden, von hinten. Mit voller Absicht, sagt Timo. Namen wollte er keine nennen. Ehrensache. Das Bein habe genagelt werden müssen, sei aber nie richtig verheilt. Jetzt sei er Trainer bei Kupittaan Allianssi, einem Vorortverein in Turku.
Wir spielen zweite Division, West, Länsi . Zweite Division bedeutet in Finnland Dritte Liga. Mein Vater will das nicht wahrhaben. Zu Hause erzählt er jedem, sein Sohn sei jetzt Profi, spiele Zweite Liga in Finnland, und beklagt sich dann telefonisch bei mir, dass ihm niemand glauben wolle. Ob ich nicht mal Fernsehmitschnitte oder Zeitungsartikel senden könne.
Schwierig, sage ich. Wir sind ja erst in der Vorbereitung.
Es geht los. Wir traben in zwei Zehnergruppen an. Bei -17 °C gewinnt das Wort »aufwärmen« eine ganz neue Bedeutung. Genauso wie »Hartplatz« oder »kaltschnäuzig«.
»Nyt!« , ruft Timo durch seine Fäustlinge in die Dunkelheit.
Zehn tiefe Liegestützen im Schnee, danach ein Spurt bis zur imaginären Seitenlinie gleich bei den Gleisen. Jeder Atemzug ein stechender Schmerz. Von Weitem das Donnern eines Güterzuges. So muss sich der Gulag angefühlt haben.
Nach der vierten Runde ruft Timo uns zusammen.
Liebe Freunde, wenn ich mich nicht täusche, stinkt mal wieder ein gutes Drittel von euch fünfzig Meter gegen den Wind nach Fernet Branca, aber sei’s drum. Ihr habt es sicher bemerkt, der Platzwart ist krank, wir kommen also nicht an den Ballschrank ran, das Flutlicht geht schon in einer Stunde wieder aus. An ein geordnetes Training ist damit nicht zu denken, weshalb ich vorschlage, dass wir einfach ein kleines Spielchen machen. Also los.
Vielleicht sagt Timo
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