Finnischer Tango - Roman
bergab, der zur Siilitie führte, knirschte unter Adils Schuhen. Nach dem, was nun kam, würde er vielleicht keine Zeit mehr haben, in sein Hotel zu gehen, bald würde es ernst werden. Adil schlug seinen Kragen hoch. Heute war der 6. Dezember. Er hatte den Tag nicht ausgewählt, aber er beinhaltete unbestreitbar eine Symbolik, die glänzend mit seinen Zielen übereinstimmte: Nicht nur, dass die Finnen heute ihren Unabhängigkeitstag feierten, in den Vereinigten Staaten war an diesem Tag seinerzeit der dreizehnte Zusatz zur Verfassung angenommen worden, mit dem die Sklaverei abgeschafft wurde. Das war ein Tag der Freiheit, an dem jene, die gelitten hatten, sehen durften, dass sich das Recht durchsetzte. Und auch Eeva würde das erleben dürfen, mit seiner Hilfe.
Der Ford Transit der Kurden hielt auf der Arinatie in Pajamäki. Die drei holten aus dem Laderaum das notwendige Zubehör und gingen dann bis ans Ende der schmalen Gasse zwischen zwei Industriehallen. Der Raum in einer Ecke der flachen Wellblechhalle war noch abgelegener als Adils Loch, hierher würde sich selbst aus Versehen niemand verirren, höchstens irgendein Tier aus dem Wäldchen nebenan, dachte Turan Zana zufrieden, als er die klapprige Tür öffnete.
Der Raum war schon so hergerichtet, dass er aussah, als hätten sie hier Tage zugebracht: Fastfood-Verpackungen, Pizzakartons, Flaschen und Abfälle lagen hier und da herum, und auf einem Hocker stand ein Fernseher. Es fehlte nur noch der letzte Schliff.
»Stellt die Stühle auf, richtet die Lampen aus und macht für die Männer aus Norwegen Platz am Ende des Raumes«, befahl er seinen Helfern.
Als alles bereit war, ging Zana mit seinem Teebecher zum Fenster, öffnete aber die Jalousie noch nicht, obwohl er es gern getan hätte. Nach den Monaten in der Höhle nahe bei Hasankeyf hatte er geschlossene Räume möglichst gemieden. Der Tee war so heiß, dass er dampfte, er tauchte ein Stück Dolma hinein, aß es lustlos und dachte dabei über den schon bald bevorstehenden Zusammenstoß nach. Einem gleichstarken Feind gegenüberzustehen war etwas ganz anderes als die Ermordung eines einzelnen Opfers, das nichts Schlimmes ahnte. Es könnte passieren, dass die Russen sie töteten; der Gedanke ging ihm zwangsläufig durch den Kopf. Aber Zana glaubte, dass die Angst seine besten Seiten zum Vorschein bringen würde. Er hatte schon so lange in einer Welt der Gewalt gelebt, dass er sich nicht einmal erinnerte, wie das normale Leben war. Gewalt hatte auch die Geschichte der Kurden, die Jahrtausende zurückreichte, dominiert. Allzu viele Alleinherrscher hatten im Laufe der Jahrhunderte die Kontrolle über ihr gebirgiges Land angestrebt, weil es sowohl strategisch als auch wirtschaftlich wichtig war: In Kurdistan nahmen die zwei Ströme Euphrat und Tigris ihren Anfang, und in seinem Boden fand sich Öl. Die Kurden hatten sich daran gewöhnt, zu fürchten, dass man ihr Volk vernichtete, aber sie hatten sich nie unterworfen und nie ihren Traum aufgegeben – den Traum von Kurdistan. Im Laufe der letzten hundert Jahre hatten sie sowohl in der Türkei als auch im Irak und Iran gegen die Unterdrücker rebelliert. Aber ihr Widerstand war ein ums andere Mal erstickt worden. Sie waren zu uneinheitlich, sie müssten ihre Stammeskonflikte vergessen. Und das würde diesmal geschehen. Danach würde sich alles ändern.
»Wo wollt ihr euch in Kurdistan niederlassen. Wo wohnt eure Familie?«, fragte Turan seine Helfer.
»In Cizre«, antwortete einer der Kurden niedergeschlagen.Dann erinnerte sich der andere an die Schönheit der Stadt Sirnak und beschrieb sie mit so viel Begeisterung und einem solchen Pathos, dass Zana seine Frage bereute.
Auf dem Hof waren Schritte zu hören, Zana schaute auf seine Uhr. Die Verstärkung aus Norwegen, die er bestellt hatte, traf gerade rechtzeitig ein.
»Wir sind bereit«, sagte er.
»Zu allem, mein Bruder, zu allem.«
37
In der unterirdischen operativen Zentrale des Thames House herrschte ein geschäftiges Treiben, Dutzende Männer in dunklen Anzügen und Frauen in Hosenanzügen telefonierten, tippten auf Computertastaturen oder unterhielten sich miteinander. Die EDV-Anlagen summten, die Drucker surrten, und die Telefone klingelten. Zur Krisengruppe des JTAC gehörten neben Melissa Tufton vom MI 5 je ein Vertreter des Auslandsnachrichtendienstes MI 6, des Government Communication Headquarter, der Sondereinheit der Londoner Polizei, des Innen- und Außenministeriums sowie Mitarbeiter von
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