Finnischer Tango - Roman
Und das geschah jetzt.
»Wie geht es dir?« Adil hörte im Rauschen der Handyverbindung das Echo seiner Worte in gepflegtem Englisch.
»Glänzend, und noch besser wird es mir gehen, wenn ich mit der Arbeit beginnen kann«, antwortete Veikko Saari energisch.
»Es ist doch genau das Hotelzimmer, das du wolltest? Dort wird dir die Zeit ja vermutlich nicht lang geworden sein?«
»Ich kann mich nicht beklagen, alles ist in Ordnung. Du hast es so organisiert, dass ich mich wohl fühlen kann«, versicherte Saari.
Die Männer wechselten noch ein paar freundliche Worte, bevor Adil zur Sache kam. »Es gibt gute Nachrichten. Der Plan ist genauso angelaufen wie vorgesehen. Es kann gut sein, dass du schon heute anfangen darfst. Ich bestätige dir das sobald wie möglich.«
Saari war so begeistert, dass es eine ganze Weile dauerte, bis sich Adil von ihm verabschieden konnte.
Vor Jahren, als Adil mit Eeva zusammen in der Sepänkatu gewohnt hatte, war Veikko Saari sein Nachbar gewesen. Er hatte den Mann kennengelernt und war überrascht gewesen, wie ungeheuer verbittert der einsame Rentner wirkte. Immer wenn sie sich begegneten, hatte sich Saari lang und breit beklagt, die finnischen Politiker hätten jene vergessen, deren Verdienst es war, dass ihr Land seine Freiheit behalten hatte, und sie hätten der Marktwirtschaft und der Europäischen Union den Wohlfahrtsstaat geopfert, den er und seine Generation nach dem Krieg aufgebaut hatten. Noch mehr waren Saari jedoch die Kriminellen zuwider, die sich an den gedeckten Tisch setzten und aßen, ohne dafür zu bezahlen. Und am allermeisten hasste er die russischen Kriminellen, vor allem die russischen Drogendealer.
Als Adil vor einem Jahr seinen Plan vollendet und sich entschlossen hatte, mit seiner Umsetzung in Finnland zu beginnen, war ihm sein alter Bekannter eingefallen, und er hatte sich vorgenommen, dem Rentner zu helfen. So war ereben. Er hatte Kontakt zu Saari aufgenommen und ihm erzählt, wie Wassili Arbamow und seine Organisation den finnischen Heroinmarkt erobern wollten, ohne sich darum zu scheren, dass die Drogen viele junge Leute töten würden. Und er hatte ihm auch verraten, wie er Arbamow vernichten wollte. Saari war bereit gewesen, ihm zu helfen, nachdem er ausreichend Beweise für Arbamows Verbrechen gesehen hatte.
Adil holte aus seiner Minibar eine Flasche Wasser und füllte ein Glas. Alkohol rührte er nicht an, und zwar nicht, weil es sein Glauben verboten hätte, so etwas besaß er nicht, sondern weil bereits ein Glas Wein bewirkte, dass sein Gedächtnis völlig ausflippte. Er setzte sich im Sessel bequem zurecht, vertiefte sich in die Nachrichtensendung und bemerkte das Datum an der Wand des Studios.
Am 4. Dezember des Jahres 1872 entdeckte die von Kapitän David Morehouse befehligte Brigg »Dei Gratia« das amerikanische Schiff »Mary Celeste« im Atlantik in der Nähe der Azoren. Die »Mary Celeste« befand sich in einem guten Zustand, ihre Ladung war vorhanden, ebenso die Lebensmittel und die Trinkwasservorräte. Nur der Kapitän des Schiffes mit seiner Familie sowie die achtköpfige Besatzung fehlten, sie wurden nie gefunden.
Auch heute schrieb man den 4. Dezember.
Die Welt war voll von unerklärlichen Dingen.
12
Ulla Palosuo beugte den Kopf fast bis auf den glänzenden ovalen Verhandlungstisch, um aus ihrer randvollen Kaffeetasse zu trinken, und Arto Ratamo beobachtete interessiert, wie sich ihre massive Haartracht in der Waagerechten verhalten würde. Die Stützkonstruktion hielt, stellte er enttäuschtfest, das imposante tütenförmige Gebilde wackelte kaum, während die Chefin der SUPO vorsichtig Kaffee schlürfte. Dann warf Ratamo einen Blick auf Riitta Kuurma, die einen gestressten Eindruck machte und in ihren Unterlagen blätterte. Ihm fiel ein, dass Riitta in ihrer gemeinsamen Zeit immer Kleider vom Flohmarkt getragen hatte. Was könnte sie dazu bewegt haben, bei Europol auf Hosenanzüge umzusteigen. Oder wer?
Im Beratungsraum A 310 im obersten Geschoss der SUPO begann gerade die Vormittagsbesprechung zum Mord an Arkadi Kirilow. Alle wussten von Ratamos Unfall am vorhergehenden Abend.
»Wie man hört, bis du gestern auf den Geschmack von frischem Fleisch gekommen«, witzelte Wrede und brachte damit sogar Riitta Kuurma zum Lachen. »Und dann auch noch im Auto, genau wie damals als Teenager.«
Ratamo reagierte nicht auf Wredes Spitze, er war es gewöhnt, dass sich Klatsch und Tratsch in Polizeikreisen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiteten.
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