Finnischer Tango - Roman
seiner Sehnsucht zu gleichen Teilen Freude über die Zeit mit Eeva und Trauer, dass ihr Zusammenleben vorbei war.
Sein Mietwagen surrte im Leerlauf vor dem Lieferanteneingang des Physicum-Gebäudes auf dem Campus Kumpula der Universität Helsinki. Hier lief Eeva auf dem Weg von der Straßenbahnhaltestelle zu ihrem Arbeitsplatz immer entlang. Adil schob sein Gesicht näher an die getönte Scheibe des Mégane, als Eeva nur wenige Meter von ihm entfernt vorbeiging. So nahe war er seiner Geliebten jahrelang nicht gewesen, fast konnte er ihren Duft riechen. Er spürte die Sehnsucht als physischen Schmerz in den Schläfen, am liebsten wäre er ausgestiegen und hätte Eeva einfach in die Arme genommen. Nur mit großer Mühe vermochte Adil seinen Wunsch zu unterdrücken. Doch die Zeit für ein Treffen war noch nicht gekommen, aber bald würde es so weit sein: Sobald Eeva einsah, dass man ihr helfen wollte, ihr Leben zu ändern, damit es besser wurde.
Eeva war nie fähig gewesen, seine Genialität zu verstehen, das machte Adil traurig. In der ganzen Zeit ihrer Beziehung hatte sie sein Anderssein nur für besorgniserregend und peinlich gehalten. Wenn sie wütend war, hatte sie ihn manchmal sogar als Verrückten bezeichnet.
Adil akzeptierte sein Gemüt mit all den Schwankungen, weil Gemütsruhe und Wohlgefühl noch nie jemanden zu großen Taten angespornt hatten. Schon Aristoteles soll gefragt haben, warum alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler, offenbar Melancholiker gewesen seien. Und Seneca sagte: »Es hat keinen großen Geist ohne eine Beigabe von Verrücktheit gegeben.« Die Zitate tauchten aus seinem Gedächtnis auf, als würde er sie in einem Buch lesen.
Zu seiner großen Überraschung fühlte er, wie eine Träne über sein Gesicht rollte, als Eeva hinter der nächsten Ecke verschwand. Eine unwillkürliche Reaktion, dachte er und schaute auf eine Seite aus einem Physiologie-Buch, die ermit geschlossenen Augen vor sich sah. Es machte ihn wütend, dass er imstande war, alles zu beherrschen, nur sein Gedächtnis nicht. In jungen Jahren hatte er versucht, das Meer der Informationen, das in seinem Kopf wogte, loszuwerden, indem er jedes Detail aufschrieb, aber dadurch waren die Erinnerungsbilder nur noch klarer geworden. Er hatte sogar seine Aufzeichnungen verbrannt, als würde das helfen, den Kopf frei zu bekommen.
Adil schaltete die Stereoanlage ein, und neben dem Rasseln des Motors war nun die tiefe Stimme des Kehlkopfsängers Hosoo zu hören. Er gab Gas und fuhr in Richtung Zentrum, lachte, als er auf einem Wegweiser den Namen des Stadtteils Arabianranta las, und bog in die Uferstraße von Hermanni ab. Der morgendliche Verkehr floss ruhig dahin. Auf der Hämeentie fuhr er an dem Geschäft für orientalische Lebensmittel »ViiVoa« vorbei und hätte fast gebremst. Doch ihm fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass der Laden sonntags geschlossen war. Na egal, während des ganzen Jahres, das er vor einiger Zeit hier verbracht hatte, war es ihm jedenfalls nicht gelungen, in irgendeinem Geschäft überreife Austa umram- Datteln oder wenigstens reife Barhi -Datteln zu bekommen.
Die vergitterten Fenster des Supermarktes von Hakaniemi katapultierten ihn in Gedanken wieder einmal an den Ort, den er so hasste wie keinen anderen. Er erinnerte sich an das Wesen der Angst, als er die Zelle in Camp Bucca vor sich sah, mit all ihren Einzelheiten: die Risse im Beton, den das Sonnenlicht nie erreichte, an den Wänden Kerben, eingekratzt von Fingernägeln, und Striche, mit denen die Gefangenen versuchten, über den Ablauf der Tage Buch zu führen, und die flinken schwarzen Schaben, die über die Striche rannten wie Sprinter im Stadion.
Das einfallslose Klingeln des Handys übertönte den Kehlkopfgesang.
»Die drei Drogenabhängigen in Helsinki sind erledigt. Bei allen wird man … Stoff von Arbamow finden«, versicherte Turan Zana.
»Gute Arbeit. Wie ist die Lage anderswo, wie viele Bestätigungen hast du bekommen?«
Man hörte in der Leitung, wie Papier raschelte. »Drei wurden in Stockholm, in Oslo und in Warschau erledigt und fünf in London. Das heißt, ich erwarte noch Informationen von den meisten meiner Männer.«
»Der Stoff wird ja wohl reichen, ihr liefert doch ständig Nachschub in alle Länder?«, fragte Adil in strengem Ton.
»Aber natürlich. Obwohl Arbamows Männer den Stoff wirklich in einem unglaublichen Tempo überall in Europa unter die Leute bringen. Nach Brüssel und
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