Finnischer Tango - Roman
nicht irdisch; ich rede nicht davon, ob es himmlisch ist, sondern ich will nur sagen, dass ein Mensch in irdischer Gestalt das nicht aushalten kann.«
»Adil!«, rief plötzlich jemand fröhlich, und das brachte ihn in die Realität zurück. Eeva rannte mit ausgestreckten Armen auf ihn zu, sie umarmten sich, und Adil roch den Duft seiner Geliebten. Es war genau derselbe wie bei ihrem letzten Treffen vor Jahren, genauso berauschend. Sehnte er sich immer noch so sehr nach Eeva? Ihm fiel ein, wie sie sichvor Jahren auf dem Flughafen minutenlang umschlungen gehalten hatten, da waren sie nur zwei Wochen voneinander getrennt gewesen. Jetzt empfand er dasselbe wie damals, das Gefühl war so intensiv, dass es ihm fast den Atem nahm.
Eeva löste sich aus der Umarmung und streifte den halb geschmolzenen Schnee von der Wange ihres früheren Freundes. »Du siehst noch toller aus.«
Adil betrachtete Eeva stumm. Die Schönheit war nicht verschwunden, sie hatte sich nur in die Tiefe verlagert, ruhte nun irgendwo hinter den Fältchen, den Falten und den vor Müdigkeit geröteten Augen. Eeva wirkte gestresst, aber ihr Lächeln war aufrichtig. Adil hatte nicht erwartet, dass sie ihn so herzlich begrüßen würde. Vielleicht bereute sie das Ende der Beziehung. Vielleicht verstand Eeva jetzt, was sie verloren hatte … Adil zwang sich, seine abschweifenden Gedanken wieder im Zaum zu halten, es war sinnlos, sich von gewöhnlichen Menschen zu viel zu erhoffen.
»Wollen wir nicht Kaffee trinken oder Essen gehen?«, fragte Eeva. »Und darüber reden, was in den letzten drei Jahren geschehen ist. Du hast bestimmt Millionen Geschichten zu erzählen, weil du damals während des Krieges im Irak warst.«
»Deshalb wollte ich dich auch hier treffen. In der Galerie wird nämlich eine Fotoausstellung von James Nachtwey über den Irak gezeigt. Mit Hilfe der Bilder kann ich vielleicht besser von diesen Ereignissen erzählen.«
Eeva gefiel der Gedanke. Sie schüttelten sich den Schnee ab, und Adil hielt die Tür offen, als Eeva das alte Haus betrat. In den ursprünglich als Keller und Kühllager errichteten Räumen befanden sich jetzt ein Buchladen und eine Galerie. Eeva fuhr sich mit der Hand durch ihr Haar, das durch den Hut zu sehr am Kopf anlag.
Sie gingen durch das vor Büchern überquellende Antiquariat und bogen dann in einen schmalen Flur ein, in demdie nummerierten Türen der Abstellkammern an den ursprünglichen Verwendungszweck der Räume erinnerten. Dann wurde der Flur schmaler, und der Holzfußboden wurde von blankem Beton abgelöst. An der Tür zu dem kleinen Ausstellungssaal musste sich Adil bücken.
Die Galerie erinnerte Adil an den Bunker seines Hauses in Bagdad. Der Raum war höchstens zwei Meter hoch, aus den Leitungsrohren tropfte Wasser und bildete auf dem Fußboden kleine Pfützen, und die blanken Ziegelwände waren verwittert. Dieser trostlose Ort eignete sich ausgezeichnet als Kulisse für Kriegsfotos.
Nachdem ein deutsch sprechendes Ehepaar den Raum verlassen hatte, blieben Adil und Eeva allein mit den Fotos, die an Metalldrähten hingen. Adil zeigte auf ein Bild, auf dem sich im Hintergrund der von einem Sandsturm orangerot gefärbte Himmel und die Stadt Bagdad erstreckten. Im Vordergrund grüßte vor einer weißen Moschee das Denkmal Saddam Husseins.
»Na’m, na’m, Saddam«! »Ja, ja, Saddam.« Adil äffte die Rufe der Begeisterung für den einstigen Diktator nach, aber es gelang ihm nicht, dabei zu lächeln.
Adil trat vor das nächste Foto, betrachtete einen Augenblick mit ernster Miene den von Bomben erleuchteten nächtlichen Tigris und erzählte dann vom Tod seiner Eltern und seiner Schwestern. Als die Truppen der Koalition in Bagdad einrückten, hatten Aufständische und Terroristen überall in der Stadt Anschläge auf die Angreifer ausgeführt: Sein Haus war zerstört worden, als beim Vorbeimarsch der amerikanischen Truppen eine Autobombe explodierte. Der Zufall hatte seine Familie umgebracht. Das Entsetzliche mit Eeva zu teilen schien die Bürde der Erinnerungen leichter zu machen; Eeva wusste, wie viel ihm die Familie und die Verwandten bedeuteten.
Zu dem Foto, das eine zerstörte Moschee und die wutverzerrtenGesichter junger Iraker zeigte, hatte Adil nichts zu sagen. Er ging weiter, bis er stehenblieb und ein Foto betrachtete, auf dem ein mit Lederriemen an das Gitter gefesselter Gefangener der Schnauze eines Hundes auszuweichen suchte, den ein lachender Soldat hielt.
»Diese Fotos wurden im
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