Finnischer Tango - Roman
Gefängnis Abu Ghraib aufgenommen, bevor die Welt von den Folterungen der Gefangenen erfuhr. Ich bin nach Camp Bucca gekommen … in ein Kriegsgefangenenlager der Briten. Dieses Foto könnte genausogut dort gemacht worden sein«, stammelte Adil. Er schaute kurz zu Eeva hin und kam sich edel vor, weil er seiner Geliebten helfen wollte, obwohl sie in gewisser Weise daran schuld war, dass er all das Schlimme hatte erleben müssen. Wenn Eeva ihre Beziehung nicht abgebrochen hätte, wäre er nicht nach Bagdad zurückgekehrt und hätte nicht das Haus gekauft und seine Familie wäre nicht bei dem Bombenanschlag umgekommen. Und er hätte nie auch nur einen Tag in der stinkenden Zelle von Camp Bucca schmachten müssen. Aber er hatte Eeva verziehen, die stärksten Menschen waren imstande, sogar denen Gutes zu tun, die ihnen Schlimmes zugefügt hatten.
»Es ist erstaunlich, dass jemand solche Erfahrungen bewältigen … oder sich davon wieder erholen kann.« Eeva starrte das Folterfoto bedrückt an.
»Ich habe mich meinem emotionalen Intellekt überlassen und bin nicht verbittert. Ich habe alle Empathie und alles Mitgefühl aus mir herausgeholt und mich entschieden, nicht mit Hass auf den Schmerz, die Folter und die Demütigung zu reagieren.«
Eeva war sich nicht vollkommen sicher, ob Adil das ernst meinte, wenngleich sie wusste, dass er seine eigene Begabung mehr schätzte als alles andere auf der Welt. »Zumindest bist du im Laufe der Jahre kein bisschen bescheidener geworden«, sagte sie, es sollte scherzhaft klingen.
»Bescheidenheit gehört kaum zu den Tugenden eines Genies, wie du sehr wohl weißt. Aber ich lobe mich selbst noch in Maßen. Erinnerst du dich, wie Rousseau seine Autobiographie eröffnete: ›Ich beginne ein Unternehmen, das ohne Beispiel ist und das niemand nachahmen wird. Ich will meinesgleichen einen Menschen in der ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich sein.
Ich allein. Ich lese in meinem Herzen und kenne die Menschen. Ich bin nicht wie einer von denen geschaffen, die ich gesehen habe; ich wage sogar zu glauben, dass ich nicht wie einer der Lebenden gebildet bin.‹«
Eeva lächelte. »Auch dein Gedächtnis funktioniert anscheinend noch genauso außergewöhnlich wie früher. Hast du neue Methoden gelernt … dir überlegt, wie du es unter Kontrolle halten kannst? Oder wie du das Überflüssige loswerden, wie du vergessen kannst?«
Adil schnalzte mit der Zunge wie ein Kutscher. »Die Menge des Wissens ist nicht das Problem, sondern dass ein Gehirn seinen eigenen Willen hat. Und bisher hat wohl kaum jemand gelernt, wie man es ausschalten kann.«
»Entschuldige, ich wollte nicht …«
»Ich bin nervlich zu angespannt, in der letzten Zeit ist so viel geschehen«, sagte Adil versöhnlich. »Da sehe ich dich und beklage mich nur die ganze Zeit. Und wie geht es dir? Du hast anscheinend deine … Probleme überwunden? Jedenfalls siehst du schöner aus als je zuvor«, fuhr Adil fort, obwohl ihm bei der Betrachtung von Eevas müdem Gesicht einfiel, welche Naivität und Unschuld und welchen Lebenshunger es ausgestrahlt hatte, als sie sich vor über zehn Jahren in London das erste Mal begegnet waren.
Eeva wandte sich den Fotos zu, sie wollte nicht über die Ereignisse der letzten Tage sprechen. Aber irgendetwas musste sie sagen, Adil hatte sich ihr schließlich gerade anvertraut und vom Schicksal seiner Familie erzählt. »Ich binschon ein Jahr lang sauber«, sagte sie schließlich. »Und ich fühle mich als Lektorin an der Uni wohl. So kann ich doch wenigstens mit jungen Leuten zusammen sein.«
»Und Kirsi? Das Mädchen ist sicher enorm gewachsen.« Adil dachte mit Wehmut an das kleine Mädchen, das er genau wie Eeva verloren hatte.
»Kirsi geht es blendend. Sie ist schon in der fünften Klasse, zeichnet immer noch gern und besucht derzeit Reitstunden. Auch jetzt ist sie mit ihrer Freundin zusammen in der Reitschule«, antwortete Eeva und dachte daran, wie gern Adil mit Kirsi zusammen gewesen war, sie fürchtete schon, sie könnte allzu begeistert von ihr geredet haben. Sicher hatte Adil Sehnsucht nach Kirsi.
»Und dein Nachbar aus der Wohnung darunter? Dieser sympathische Ex-Polizist … Veikko Saari. Wie geht es Veikko?«
Plötzlich hatte Eeva das Gefühl, dass Adil zu weit in ihr Revier eindrang. Darin war er ein Meister, ehe man es sich versah, war er schon in die Welt des anderen gelangt und schlich nach und nach immer tiefer hinein, bis er dessen Tun zu beherrschen schien.
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