Finnisches Blut
was sie taten. Er wunderte sich über das Nummernschild mit dem CD. War es dasselbe Auto, das er vor dem Haus von Manneraho gesehen hatte? Benutzten die Entführer ein Auto mit Diplomatennummernschild, um mögliche Augenzeugen zu täuschen?
Ratamo saß still da, eingeklemmt zwischen den zwei breitschultrigen Männern. Der Mercedes fuhr auf der Tehtaankatu in Richtung Südhafen. Kurz vor dem Olympiaterminal nahm der dunkelhaarige Mann einen schwarzen Beutel aus seiner Tasche und zog ihn Ratamo über den Kopf. Dann klickten Handschellen um seine Handgelenke, und der Sicherheitsgurt wurde angelegt.
Trotz der Angst konnte sich Ratamo vorstellen, wie das Auto zur Uferstraße von Sörnäinen und dann über die Brücke nach Kulosaari fuhr, aber da er sich in Osthelsinki nicht auskannte, wußte er nicht, wo sie vom Itäväylä abbogen.
Plötzlich machte der Fahrer eine Notbremsung, und Ratamo wurde nach vorn geschleudert. Der Sicherheitsgurt spannte sich bis zum Anschlag, und in seiner Brust schmerzte es. Das Auto vollführte eine Wendung um einhundertachtzig Grad und fuhr zurück in die Richtung, aus der es gekommen war. In den nächsten Minuten holte der Chauffeur alles aus dem Motor heraus. Er beschleunigte den Mercedes auf eine |162| enorme Geschwindigkeit und fuhr wie über eine Slalomstrecke. Immer wieder bremste er heftig, und eine scharfe Kurve folgte der anderen. Dann war die Rallye zu Ende, der Mercedes hielt an, und Ratamo wurde in ein anderes Auto gebracht. Die Fahrt ging danach noch mindestens zehn Minuten weiter, und Ratamo wußte nicht, ob er in Helsinki, Espoo oder Vantaa war. Der Wagen hielt ein paarmal kurz, rollte schließlich langsam abwärts und blieb stehen. Ratamo wurde einen Flur entlanggeführt, bis man ihn an den Schultern auf einen Stuhl drückte. Die Kapuze und die Handschellen wurden abgenommen. Er saß in einem fensterlosen Raum mit nackten Betonwänden, drei Stühle und zwei kleine Tische mit einem Belag aus Birkenlaminat bildeten das Mobiliar. Auf dem einen Tisch stand eine leistungsstarke Lampe und auf dem anderen eine Kanne Wasser und übereinandergestellte Gläser. Am hinteren Ende des Raumes befand sich noch ein schmales Bett und ein WC-Becken. Muffiger Kloakengestank stieg ihm in die Nase.
Ratamo wurde genau untersucht. Sein Mantel und seine Tasche lagen auf dem Tisch an der Wand.
Der dunkelhaarige Mann schob Ratamos Stuhl näher an den Tisch heran, so daß sein Bauch gegen die Tischkante gedrückt wurde. Ihm gegenüber saß der blonde Mann mittleren Alters mit ausdruckslosem Gesicht. Der andere setzte sich weiter entfernt hin und beobachtete Ratamo. Keiner von beiden sah wie ein Finne aus, obwohl ihre Haut sehr hell war. In ihrem leeren Blick und ihren geröteten Gesichtern lag etwas, das Ratamo nicht mit finnischen Männern in Verbindung brachte. Um so überraschter war er, als der ihm gegenüber sitzende Blonde in perfektem Finnisch sagte: »Ich bedaure, daß wir gezwungen waren, Sie auf so unhöfliche Weise zum Verhör abzuholen, |163| aber leider ist durch sie eine derart unangenehme Situation entstanden, daß es keine Alternative gab.«
»Sind Sie von der Aufklärungsabteilung oder …?« fragte Ratamo und merkte selbst, wie dumm die Frage war. Der Mann würde ihm nur das sagen, was er wollte, und wahrscheinlich auch ihn dazu bringen, zu sagen, was er wollte.
Der Blonde stand auf. »Das brauchen Sie nicht zu wissen. Sagen wir einmal, um das Gespräch zu vereinfachen, daß ich einen effizienten Nachrichtendienst vertrete. Wir haben die Situation, die durch Sie ausgelöst wurde, beobachtet, seitdem gestern abend maßgebliche Herren im Generalstab über Ihre Entdeckung diskutiert haben. Wenn Sie erlauben, darf ich unsere Organisation insofern loben, als es in Ihrem Land nur wenige Orte gibt, die wir nicht abhören könnten, wenn wir es wollten.« Der Mann ging mit erhobenem Kinn hin und her.
»Wir sind wirklich überrascht gewesen, daß Sie so dumm waren, noch einmal in der Nähe von Mannerahos Wohnung aufzutauchen. Von da an haben wir Sie verfolgt, konnten Sie aber erst auflesen, als es keine Augenzeugen gab.«
»Ich dachte …«
»Können wir uns darauf einigen, daß Sie nur dann reden, wenn ich Sie dazu auffordere!« unterbrach der Blonde Ratamo und brachte ihn damit zum Schweigen. Er ging immer noch in dem Raum auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Seine Haltung war die eines Soldaten. »Wir wollen von Ihnen nur eines: die Formel des Gegenmittels, das sie entwickelt
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