Finnisches Blut
also gerade noch durchgegangen. Die Männer hatten Jalava nicht gefaßt. Am liebsten hätte Ratamo vor Erleichterung laut geseufzt.
Die beiden verließen den Raum. An der Tür sagte der Blonde, Ratamo würde möglicherweise etwas zu essen bekommen, wenn sie erst sehr spät wiederkämen. Sie wollten dafür sorgen, daß er in der Lage wäre, zu arbeiten, wenn ihm dann seine Notizen zur Verfügung stünden.
Der unbequeme Stahlrohrstuhl knarrte, als Ratamo sich zurücklehnte und zusammensank. Er war ein toter Mann. Den Tod fürchtete er nicht, weil er nicht glaubte, daß er ein schlimmerer Zustand war als das Leben. Zumindest als sein jetziges Leben. Er trauerte jedoch seinen ungenutzten Möglichkeiten nach. Die ganze Zeit hatte er ein vorprogrammiertes Leben geführt und könnte nun nicht einmal mehr die einzige Frucht |167| dieses Lebens genießen, Nelli. Wenn er doch nur noch Zeit gehabt hätte, Marketta vor seiner Entführung anzurufen. Nun mußte er den ganzen Donnerstag in seiner Todeszelle leiden, ohne zu wissen, ob Nelli in Sicherheit war.
Eine Weile saß er ganz in Trauer versunken da, doch dann kehrte sein Lebenswille zurück. Er mußte fliehen. Ansonsten würde er diesen Raum ganz sicher mit ausgestreckten Beinen verlassen.
Ratamo untersuchte den Verhörraum systematisch. Daraus, wie man ihn hierhergebracht hatte, ließ sich schließen, daß der Raum in einer unterirdischen Etage lag. Fenster gab es nicht, und die Tür hatte innen nur eine Klinke. Da er kein Schloß sah und ein metallisches Klirren gehört hatte, als die Männer gingen, mußte außen ein Riegel oder ein Vorhängeschloß sein. Die Tür sah stabil aus. Und am Rand konnte man nichts hindurchstecken, selbst wenn er etwas gehabt hätte, um es zu versuchen. Plötzlich fiel Ratamo ein, daß er nicht wußte, ob die Männer das Handy in der Tasche gelassen hatten. Er stürzte zum Tisch und fand das Telefon. Der Balken, der den Netzempfang anzeigte, war jedoch nicht zu sehen. Er versuchte dennoch, Pirkko Jalavas Nummer anzurufen, die auf der Rückseite stand. »Keine Verbindung zum Netz« war auf dem Display zu lesen.
Er setzte sich wieder auf den steinharten Stuhl. Es war erst halb zwei, und in der EELA arbeitete immer irgendein einsamer armer Teufel bis zum späten Abend. Ratamo legte die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme. Vielleicht würde man ihm irgendwann etwas zu essen bringen – zum Tode Verurteilten wurde meist eine Henkersmahlzeit vorgesetzt.
|168| 29
Der Computermonitor erlosch, als Leppä und Parola das Zimmer ihres Chefs betraten. Der HEX-Index war auf die Rekordhöhe des Monats gestiegen. Vairiala hatte sich entschlossen, am nächsten Tag die Hälfte seiner Aktien zu verkaufen, falls Ratamo bis dahin gefaßt war. Dann hätte er Zeit, seine Investitionen neu zu ordnen.
Seine in Zivil gekleideten Untergebenen saßen auf dem Sofa wie auf der Anklagebank. Als Vairiala seine Männer anstarrte, verfärbte sich sein Gesicht allmählich rot. »So. Wer von euch will diesmal alles erklären? War der Biorhythmus durcheinandergeraten, oder hat die Sonne geblendet? Das ist schon das zweite Mal, daß ihr diesen verdammten Ratamo habt entwischen lassen!« Vairiala tobte wie ein Seeräuberhauptmann.
Bierernst brüllte, die Wanduhr tickte, und Parola war nahe daran zu schreien. Man hatte ihn schon lange nicht mehr wie einen Anfänger behandelt.
Leppä versuchte sich als Anwalt der Verteidigung: »Wir konnten uns den Mann schließlich nicht mitten im Zentrum schnappen. Gerade als er in eine etwas weniger belebte Gegend kam, wurde er in einen schwarzen Mercedes gezogen. Valasvuo folgte uns mit dem Lada, also konnten wir uns dem Mercedes an die Fersen heften. Alles ging gut, bis er vom Itäväylä nach Herttoniemi abbog und dann Schlängellinien wie bei einer Rallye fuhr, so daß wir mit dem Lada keine Chance hatten |169| dranzubleiben. Und nun sag mal, wo wir einen Fehler gemacht haben?« Er schaute Vairiala fast flehend an.
»Na beispielsweise in dem Moment, als ihr euch Ratamo nicht geschnappt habt, bevor man ihn in den Mercedes gezogen hat!« Vairialas Glatze war schon so rot wie eine frische Preiselbeere.
»Ach, mitten in der Stadt! Da waren Dutzende Leute in Sichtweite. Du hast ja selbst gesagt, daß die Sache unauffällig erledigt werden muß«, sagte Leppä mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Wem gehört der Mercedes?«
»Das wissen wir nicht. Er hatte ein gefälschtes CD-Schild.«
Vairiala demonstrierte erneut mit seinem
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