Finnisches Blut
zu treiben. Sirens Verhalten war dennoch merkwürdig. Ketonen begriff immer noch nicht, warum der Generalmajor sich die Mühe gemacht hatte, ihn anzurufen und sich nach einem russischen Waffenhändler zu erkundigen. Er glaubte nicht einen Augenblick lang, daß Vairiala außerstande gewesen wäre, die von Siren gewünschten Informationen zu liefern. Vielleicht versuchten Siren und Vairiala mit vereinten Kräften, ihn lächerlich zu machen, indem sie ihn |269| mit Lügen fütterten und dazu aufhetzten, gegen Windmühlen anzukämpfen. Ohne Vairiala besaß er nicht ausreichend Fakten, die erforderlich waren, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Dennoch brachte der Verstoß gegen die Vorschriften zusätzlichen Streß mit sich.
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Um drei Uhr fünfunddreißig betraten Ketonen und Tissari den Hauptverhörraum der SUPO, eine schallisolierte, fensterlose und etwa vierzig Quadratmeter große Zelle mit nackten Betonwänden. Sie setzten sich an einen langen Tisch. Ihnen gegenüber saß der noch immer bewußtlose Vairiala im Schlafanzug. Er war an den Hand- und Fußgelenken mit Lederriemen an einen stabilen Metallstuhl gefesselt. Ein Hauptwachtmeister, der ihn bewachte, saß neben der Tür. Auf einem Tisch an der Wand mit einer weißen Tischdecke waren fein säuberlich ärztliche Utensilien aufgereiht: Spritzen, Ampullen, Gummihandschuhe, eine Sauerstoffflasche, Gefäße und zwei Kannen mit Wasser. Eine Ärztin in einem weißen Kittel stand neben dem Tisch. Das Meer von Leuchtstoffröhren an der Decke strahlte Licht und Wärme aus.
»Jetzt müßten wir soweit sein. Gib ihm Adrenalin, damit er wieder zu sich kommt«, sagte Ketonen zu der Ärztin. Er vermied es, ihr in die Augen zu schauen, weil er nicht mehr wußte, welches von beiden ein Glasauge war.
»Er hat noch Alkohol im Blut. Das Adrenalin macht ihn nur munter, aber davon wird er nicht schneller nüchtern«, erwiderte die stark übergewichtige und fortwährend schwitzende Ärztin der SUPO.
»Fang nicht an zu erklären, sondern führ meine Befehle aus«, fuhr Ketonen sie an. Er sah müde und nervös aus. Die Zigarette |271| brannte. Sein Tageskontingent interessierte ihn jetzt nicht.
Die Ärztin zog die Gummihandschuhe an, füllte die Spitze aus der Ampulle und leerte sie in Vairialas Armbeuge. Es dauerte eine Weile, bis der Mann sich bewegte und die Augen öffnete. Schon bald irrte sein Blick durch das Zimmer, und ein paar Minuten später war er bei vollem Bewußtsein.
»Willkommen in der SUPO, Pekka. Wir hielten es für das beste, dich hierherzuholen, weil du anscheinend ein paar Dummheiten gemacht hast«, sagte Ketonen in väterlichem Ton zu dem Brigadegeneral, der deutlich jünger war als er. Vairiala begriff, daß er an den Stuhl gefesselt war. Verdutzt betrachtete er zunächst die Fesseln und dann die schemenhaften Gestalten vor ihm, er vermißte seine Brille. Ketonen erkannte er an der Stimme, und daraus schloß er, daß der andere mit dem Bürstenhaarschnitt Tissari war. Was zum Teufel sollte das? Er hatte vom Ständehaus aus Siren angerufen und einmal auch mit Parola gesprochen. Dann hatte sich Ketonen telefonisch bei ihm gemeldet und wollte mit ihm über Ebola-Helsinki reden. Später war er leicht beschwipst nach Hause gefahren. Die SUPO mußte ihn betäubt und entführt haben. Er fühlte sich völlig hilflos. Irgend etwas Umwälzendes mußte geschehen sein.
»Bist du jetzt verrückt geworden?« stammelte Vairiala. Trotz seiner Benommenheit begriff er, daß dieses Verhör nur mit der laufenden Virusgeschichte zusammenhängen konnte. Siren hatte von einem Gespräch mit Ketonen erzählt. Aber warum sollte Ketonen etwas derart Unfaßbares tun, wie es die Entführung des Chefs der Aufklärungsabteilung unzweifelhaft war.
Vairiala verdrehte den Kopf und die Augen wie jemand, dem schlecht war, er wollte Zeit zum Nachdenken gewinnen. Trieb |272| Ketonen hier irgendein Spiel zu seinem eigenen Vorteil? Siren hatte ihm von Ratamos Versuch erzählt, das Viruspaket zu verkaufen. Vielleicht hatte Ketonen den Versuch, die Verkaufsabsichten zu verhindern, bewußt scheitern lassen. Damit er so das Virus und die Formel für das Gegenmittel in seinen Besitz bringen konnte. Vielleicht machte er jetzt Jagd auf die Viren und die Formel? Zum Glück war Ratamo noch nicht gefaßt. Dann hätte Siren Ketonen die Blutröhrchen und die Formel auf dem Tablett serviert. Ketonen unterbrach Vairialas Gedankengänge: »Anscheinend hat sich bei dir in den letzten Tagen die
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