Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
nur wenige fähig waren. Zwei Monate lang wurde er durch die Region Hazarajat und über die Hänge und Pässe des Hindukusch von einem Mujahideen-Lager ins andere geschleppt und misshandelt. Die Höhlen waren feucht und kalt gewesen, genau wie dieser Keller. Seine gebrochenen Knochen wuchsen an den falschen Stellen zusammen. Nach seiner Befreiung hatte er Monate im Krankenhaus gelegen und war Dutzende Male operiert worden. Man hatte die Knochen wieder gebrochen, damit sie richtig zusammenwachsen konnten. Den täglichen Schmerz hatte er mit Methadon ertragen. Vor zwanzig Jahren wussten auch die Ärzte noch nicht, dass das zu einer Abhängigkeit führte wie bei Heroin.
»Die Zeit ist um. Sind Sie fertig?«, fragte Sterligow ganz ruhig, obwohl er die Antwort schon vorher wusste. Er beschloss, nicht lange mit dem Grünschnabel zu spielen. Orel duldete keine Misserfolge. Ihm blieb nicht viel Zeit, und kein einziger Finne würde ihn jemals wieder lächerlich machen.
»Nicht ganz. Ich brauche …«, sagte Tommila, da packte Sterligow ihn an den Haaren und zerrte ihn zum Folterstuhl. Tommila flog mit dem Kopf voran an die Stuhllehne. Aus einer Platzwunde im Augenwinkel floss warmes Blut erst in die linke Augenhöhle und dann in die Kotelette. Er blinzelte benommen, während der Geier seine Hand- und Fußgelenke an den Stuhl fesselte und die Riemen um die Stirn und die Hüften schnallte. Tommilas Herz flatterte wie die Flügel eines Kolibris, und im Mund spürte er einen bitteren Geschmack. Die Welt da draußen schien zu verschwinden, und die Angst verschlug ihm den Atem. Aus seiner Kehle drang ein immer lauteres Heulen, und er zerrte wütend an den Riemen.
Sterligow ging in die Kellerecke, kramte in seiner Ausrüstung, fand, was er suchte, und trat lächelnd vor Tommila hin. »Eine Gartenschere von Fiskars. Schnipp, schnapp.« Er setzte die Schere am Gelenk von Tommilas rechter großer Zehe an.
Tommila hörte das Knacken, als der Knochen zerbrach, und dann seinen eigenen tierischen Schrei. Der Schmerz explodierte, er übergab sich auf seine Brust und glaubte das Bewusstsein zu verlieren.
Sterligow legte eine schmale Plastikklemme um den Zehenstumpf und zog sie so straff, dass die Blutung zum Stillstand kam. Dann öffnete er Tommilas Fesseln, holte eine Metalldose aus der Tasche und ließ zwei Pillen auf die Hand des stinkenden Gefangenen fallen.
»Sie bekommen noch eine Stunde Zeit. Wenn Sie dann nicht fertig sind, steche ich Ihnen ein Auge aus.«
37
Die Ampel wechselte auf Grün, und der Käfer ruckte erst ein paarmal, ehe er endlich bereit war loszufahren. »Känguruhbenzin und am Steuer eine Huppdohle«, witzelte Ratamo, aber Nelli lachte nicht. Hoffentlich würde sie das gut überstehen und nicht zu deprimiert sein, dachte Ratamo. Es war Nellis erstes Begräbnis nach dem Tod ihrer Mutter.
Nur Augen, Nase und Mund schauten aus Nellis Kapuze hervor. Ratamo hatte angeordnet, sie solle sich warm anziehen. Das Begräbnis, das Treffen mit dem Vater, Tommilas Entführung und Holms Verrat lagen ihm schwer auf der Seele, aber er versuchte, an etwas Positives zu denken. Riitta hatte bewiesen, dass sie ihn mochte, und Ketonen wollte ihm vertrauen.
Ein paar Minuten später war es im Auto immerhin so warm geworden, dass Ratamo sein Radio einschaltete, in der Hoffnung, es könnte jetzt funktionieren. Auf den Frequenzen seiner Lieblingssender war in dem Blaupunkt-Gerät nur ein Kratzen und Rauschen zu hören. Irgendein weltberühmter Sopran schmetterte eine Arie, dass es in den Ohren dröhnte. »Jetzt reicht’s, rief der Schamane und aß die Schale mit Banane«, sagte Ratamo, Nelli lächelte, und er schob eine Kassette in den Rekorder.
Das Auto musste repariert werden, nahm er sich vor. In diesem Zustand war der Käfer genauso praktisch wie ein Rollstuhl, den man schieben musste. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, ein neues Auto zu kaufen. Er würde den VW in Ordnung bringen lassen und mit seinem Käfer zusammen älter werden und Rost ansetzen.
Bob Marleys lockerer »Buffalo soldier« entspannte ihn trotz der unangenehmen Ereignisse. Immerhin war es positiv, dass er den brennenden Wunsch hatte, wieder an den Ermittlungenbeteiligt zu sein. In seinem früheren Leben hatte er möglichst wenig Zeit am Arbeitsplatz verbracht und war jeden Morgen schlechtgelaunt in die Forschungsanstalt gefahren. Jetzt wartete er nicht nur einmal im Monat auf die Lohntüte, sondern hatte eine Arbeit, die ihn stimulierte. Vielleicht könnte er
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