Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Konten eröffnet, die niemand rückverfolgen konnte. Ihm war aber klar, wie genau er überwacht wurde. Es wäre fast unmöglich, von der SUPO unbemerkt Zahlungsanweisungen vorzunehmen. Und ihm fiel kein Mittel ein, wie er sich die Kontendaten und Kundennummern besorgen sollte.
Doch eines wusste der »Hund« genau: Wie er das perfekte Verbrechen vollenden würde. Wenn er die Chance dazu erhielt.
Frechheit siegt, sagte er sich.
36
Simo Tommila zitterte. Die kahlen Betonwände des Kellers strahlten Kälte aus. Das Licht der nackten Glühbirne erinnerte an einen Sonnenuntergang, wärmte aber nicht. Er schob die Hände unter die Achseln. Die feuchten Unterhosen juckten, und er hatte überall Gänsehaut. Die Angst war so groß, dass er sich zwingen musste, langsam und ruhig Luft zu holen und tief durchzuatmen. Er fühlte sich wieder als kleiner Junge. Damals war er so einsam gewesen, dass er gelernt hatte, Selbstgespräche zu führen. Aus dem Hobby war eine Krankheit geworden, als er anfing, Stimmen zu hören. Die Therapie hatte erst später, während des Studiums, geholfen, sodass die Stimmen verschwanden, doch er war immer noch nicht fähig, seine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Allerdings glaubte er nicht mehr, dass alles, was nicht umbringt, Angst macht.
Er musste wieder an die Schulzeit in der Unterstufe in Käpylä denken. Die Jungen hatten ihn gezwungen, in die Kiste mit dem Streusand zu steigen, und sich dann auf den Deckel gesetzt, um ihn zu verspotten. Der Sauerstoff war knapp geworden, und die Dunkelheit glich der ewigen Nacht eines Blinden. Damals hatte er gelernt, dass es nicht half, wenn man sich sträubte und wehrte. Doch jetzt konnte er nicht in seiner eigenen Welt Zuflucht suchen, sondern musste die Befehle des Geiers befolgen. Sein Vater würde ihm nicht zu Hilfe kommen und den Geier bestrafen. Das hier musste er allein durchstehen.Seine Angst war so groß, dass er sie als heftigen Schmerz in der Brust spürte.
Der Geier saß etwa einen Meter schräg hinter ihm und achtete mit Argusaugen darauf, dass er nicht ins Internet oder ins E-Mail-Programm huschte. Mit seinem Schafspelzmantel und der Waffe sah das Fleckengesicht genau so aus, wie man sich einen Terroristen vorstellte.
Waren die zwei Stunden schon um? Würde der Geier gleich anfangen, ihn zu foltern? Er vermochte immer noch nicht richtig zu begreifen, dass er gekidnappt war und jeden Augenblick gequält werden konnte. Natürlich wusste er um die Unberechenbarkeit des Lebens. Ein LKW-Reifen konnte sich selbstständig machen und einen nichtsahnenden Jogger töten, oder ein geplatztes Blutgefäß im Gehirn konnte das Leben innerhalb von Sekunden beenden, aber dass so etwas wie hier in diesem Keller wirklich möglich war, konnte sich niemand vorstellen. Er hatte Angst. Wenn er auf seine Mutter gehört hätte, zu Hause nicht ausgezogen wäre und an der Universität arbeiten würde, dann säße er jetzt nicht hier. Ach, wenn er doch nur in seinem alten Zimmer im warmen Bett läge, dachte er sehnsüchtig, und ihm fiel ein, dass man beim Schlafen mehr Energie verbrauchte als beim Fernsehen. Auch durch die unmittelbare Nähe des Todes wurden seine Gedanken anscheinend nicht so klar und geordnet, wie es die Schriftsteller immer behaupteten.
Tommila sah seine Eltern vor sich und wäre um ein Haar in Tränen ausgebrochen. Er schluckte und spürte, wie seine Augen feucht wurden. Schnell stopfte er seine Finger wieder in die Achselhöhlen, damit der Geier nicht glaubte, er wolle Zeit gewinnen.
Die zwei Stunden waren gleich um, bemerkte Sterligow, als er die letzte der Pelmeni aus der Tüte herausholte. Die mitRind- und Lammfleisch gefüllten Teigtaschen schmeckten himmlisch. Zum Glück gab es im Helsinkier Stadtteil Kallio einen Laden, der echte Pelmeni verkaufte.
Sterligow war sicher, dass er gleich eine ganze Flut von Ausreden hören würde. Der Junge war so ein Typ, der glaubte, ein Held zu sein, bis es hart auf hart kam. So waren die Finnen. Keiner von ihnen hätte das, was man ihm in Afghanistan angetan hatte, ausgehalten. Er war der erste Speznaz-Soldat, den die Mujahideen nach der »Befreiung« Afghanistans durch die Sowjetunion gefangen genommen hatten. Wie ein Mönch auf sein Gebet, so hatte sich der Anführer der Guerilla-Truppe darauf konzentriert, ihn innerlich zu brechen. Die Augen Bizmullahs waren nie aus seinem Gedächtnis verschwunden. Ebenso wenig wie der Schmerz aus seinem Körper. Man hatte ihn mit Methoden gefoltert, zu denen
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