Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
helfen, Simo Tommila zu finden. Weiß der Himmel, was man mit dem Mann gerade anstellte. Den Chinesen die Suppe zu versalzen wäre besonders wohltuend. Die Besetzung Tibets und das Blutbad auf dem Tiananmen waren kleine Vergehen verglichen mit jenen Grausamkeiten, zu denen die Bevölkerungsplanung des Landes in den letzten zwanzig Jahren geführt hatte: Nach Schätzungen waren in China Dutzende Millionen neugeborener Mädchen ermordet worden. Er konnte nicht verstehen, warum sich die Chinesen nicht gegen den Staat erhoben.
Nelli griff nach der Hand ihres Vaters auf dem Schalthebel. Ratamo schaute sie an und lächelte. Dann fiel ihm ein, dass er Marketta anrufen musste. Seine Ex-Schwiegermutter sollte auch heute auf ihre Enkelin aufpassen. Nelli musste sich allmählich daran gewöhnen, dass er nicht jeden Abend zu Hause sein konnte. Das Leben der Tochter eines alleinerziehenden Vaters war nicht leicht.
In der Nähe der neuen Kapelle von Hietaniemi fand sich kein Parkplatz, also musste er einen halben Kilometer entfernt in der Sammonkatu parken. Am Väinämöinen-Sportplatz erklang Musik, und auf dem Eis herrschte reger Betrieb. Wurde in Helsinki etwa wieder das beliebte paarweise Schlittschuhlaufen organisiert? Ratamo war so begeistert, dass er versprach, Nelli in einer Woche zum Eislaufen in den Tehtaanpuisto-Park zu bringen. Hoffentlich war der Fall Inferno bis dahin gelöst.
Der kurze Spaziergang tat gut. Schneeflocken schwebten durch die frostige Luft, und die Wolken waren da ganz hell, wosich die Sonne dem Horizont näherte. Die Straßenbeleuchtung war schon eingeschaltet.
Der Priem flog in den Schnee, und Vater und Tochter betraten den Vorraum der Kapelle ein paar Minuten vor vier Uhr. Die Trauergäste wandten ihnen die Köpfe zu, als sie Hand in Hand in den Kirchensaal gingen. Die Krawatte spannte an Ratamos Hals.
Nelli setzte sich mit ernster Miene und mucksmäuschenstill auf die harte Holzbank. Ratamo schoss der Gedanke durch den Kopf, was es für ein Gefühl wäre, bei Tommilas Begräbnis zu sitzen, wenn es der SUPO nicht gelang, ihn zu retten. Entschlossen verdrängte er das Bild. Tommila würde gefunden und gesund und munter befreit werden.
Die Orgel setzte urplötzlich ein und dröhnte mit solchem Getöse, dass Nelli zusammenzuckte. Kurz darauf war es Ratamo, der überrascht wurde: Sein Vater stand im Gang, lächelte gutgelaunt und setzte sich auf den Platz vor ihnen. Dem Alten schien es ja prächtig zu gehen. Er sah braungebrannt aus und hatte zugenommen. Dass der sich nicht schämte, in der Kirche so großspurig aufzutreten. Der einzige religiöse Kommentar, den er von dem Alten gehört hatte, lautete: »Wenn wir alle Gottes Geschöpfe sind, dann muss er eine große Kelle haben.«
Ratamos Laune verschlechterte sich. In der Hektik der letzten Tage war es ihm gelungen, jeden Gedanken an seinen Vater zu verdrängen. Sie hatten über Jahre keinen Kontakt gehabt. Nachdem er mit neunzehn von zu Hause weggezogen war, hatte sein Vater ein paar Jahre lang einmal in der Woche angerufen, dann wurden die Anrufe seltener und hörten schließlich ganz auf. Das letzte Mal hatten sie sich vor fast fünf Jahren beim Begräbnis von Kaisas Vater getroffen. Der Alte hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu Kaisas Beerdigung zu kommen.
Das Stimmengewirr in der Kirche brach ab: Es war Zeit für den ersten Choral. Ratamo schlug das Gesangsbuch auf und zeigte Nelli die Nummer. »Behüte uns, Jesus, du guter Hirt«, sang das Mädchen mit klarer Stimme.
Ratamo starrte auf den Hinterkopf seines Vaters und wurde allmählich wütend. Nach dem Tod seiner Frau war der Alte völlig zusammengebrochen. Sein einziges Kind war mit sieben Jahren praktisch zur Vollwaise geworden, da sich der Vater in seine Arbeit vergrub. Und wenn er einmal zu Hause war, was selten genug vorkam, hatte er seinen Sohn nur angebrüllt und Befehle erteilt. Ratamo erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, wie er mit elf Jahren seinem Vater ganz begeistert erzählt hatte, dass er bei einem Leichtathletikwettkampf zwischen mehreren Schulen Silber im Hundertmeterlauf und im Weitsprung und Bronze beim Speerwerfen gewonnen hatte. Und warum nicht Gold? Das war die einzige Reaktion des Vaters gewesen. Damals hatte er beschlossen, dem Alten nie wieder etwas von seinen Angelegenheiten zu erzählen. Wenn du einem Ferkel das Singen beibringen willst, verschwendest du deine Zeit und quälst das Schweinchen nur, dachte Ratamo.
Er schreckte aus seinen
Weitere Kostenlose Bücher