Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Generaldirektor von DataNorth nicht erklären. Der Mann ist Firmendirektor und kein IT-Profi. Nach Ansicht der Abendzeitungen scheint er sich in letzter Zeit mehr mit Motorrädern und Models zu befassen als mit dem Geschäftsalltag in der Firma. Die Bedeutung des Codes könnte sich heute um ein Uhr bei DataNorth klären, dann ist der für Inferno verantwortliche technische Direktor anzutreffen.«
Wrede meldete sich zu Wort. »Ich vergaß zu erwähnen, dass am Montag drei Mitarbeiter der Firmen, die Inferno entwickelt haben, in Miami waren. Unsere Abteilung für Sicherheitsüberprüfungen hat in den letzten vier Jahren für alle drei immer eine makellose Bestätigung der Vertrauenswürdigkeit ausgestellt, und auch danach haben sie keine Dummheiten gemacht.« Er bemerkte, dass sein Westover Unebenheiten zeigte, er hatte ihn zu hastig übergezogen und dabei das Hemd darunter zerknautscht.
Es lag auf der Hand, dass sie es mit einem Fall von Industriespionage großen Kalibers zu tun hatten, das wurde Ketonen klar. Würden sie unter den Mitarbeitern des finnischen Unternehmens einen Spion finden? Bekäme der Fall »Wärtsilä Finland« eine Fortsetzung? Er fragte Anna-Kaisa Holm noch, wofür ihrer Ansicht nach jemand die Inferno-Daten haben wollte.
Es gebe zwei Alternativen, antwortete sie. Möglicherweise wolle der Dieb eine Verschlüsselungssoftware der Spitzenklassestehlen, um sie ein wenig abgeändert in den Entwicklungsländern zu verkaufen, wo das Interesse der Unternehmen für Fragen des Datenschutzes erst allmählich erwachte. Da böte sich ein riesiger Markt. Oder der Dieb plante über das Inferno-Programm einen Einbruch in die Dateien irgendeines Großunternehmens.
Im Raum herrschte für einen Augenblick völliges Schweigen.
»Wollt ihr etwas über die Beweislage hören?«, fragte Riitta Kuurma, und Ketonen nickte.
»In Protaschenkos Taschenkalender fand sich eine Eintragung über ein Treffen um neun Uhr, eine Stunde vor dem Mord. In der russischen Sprache gibt es drei Geschlechter, und das Pronomen in dem Satz verriet, dass es eine Frau war, die Protaschenko treffen wollte.«
Ketonen ließ die Hosenträger knallen. »Menschenskind. Ihr habt ja über Nacht Wunder vollbracht.«
»Und das ist noch nicht alles«, fuhr Riitta Kuurma fort. »In den Unterlagen von DataNorth fanden sich Notizen in Vietnamesisch.«
»Wir suchen also eine Frau, die Protaschenko kurz vor seinem Mord getroffen hat, und einen Vietnamesen oder zumindest jemanden, der Vietnamesisch kann.« Ketonen überlegte einen Augenblick und gab dann energisch seine Anweisungen. Er selbst würde sich um die Information und Berichterstattung kümmern.
Riitta Kuurma erklärte, bei dem Treffen mit dem Direktor von DataNorth brauche sie Anna-Kaisa Holm. Von den Feinheiten der Informationstechnologie habe sie nicht die geringste Ahnung.
Der Chef beendete die Besprechung. Als Letzter verließ Wrede den Beratungsraum, den Blick auf Riitta Kuurmas Hinterteil geheftet.
Ketonen fragte sich verwundert, wie es kam, dass die Männer Riitta Kuurma hinterherschauten? Was fanden sie an einer Frau, die ständig an ihrem Perlenband herumfingerte und immer so ruhig wirkte wie der Abend eines heißen Tages. Anscheinend stand die dreißigjährige dunkelhaarige und ungeschminkte Frau für eine moderne Auffassung von Schönheit, die ihm fremd war.
Jussi Ketonen ging auf dem breiten Flur im alten SUPO-Hauptgebäude so rasch zu seinem Zimmer, dass die Gummisohlen quietschten. Der Mann, der es hasste, im Büro zu sitzen, wäre an einem normalen Arbeitstag mindestens einmal für ein Schwätzchen stehengeblieben, aber jetzt musste er in Ruhe nachdenken.
An seiner Zimmertür hörte man schon ein Kratzen, noch bevor er die Hand auf die Klinke legte. Musti erkannte die Schritte ihres Herrchens bereits von weitem. Ketonen kraulte den alten hellen Labrador. Dann setzte er sich in seinen Ledersessel, legte die Füße auf die Schreibtischkante und steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Der neunte Tag, an dem er nicht rauchte, war genauso qualvoll wie alle anderen. Er entspannte sich, als er die Wirkung des Nikotins spürte.
Die finnischen Spitzentechnologieunternehmen wurden immer unverschämter ausspioniert. In wessen Auftrag hatte Protaschenko gearbeitet? Der Mann war doch nicht etwa als Freelancer für den SVR aktiv gewesen? Schon vor Jahren hatte man die Industriespionage per Gesetz zur Hauptaufgabe des russischen Auslandsnachrichtendienstes gemacht, aber Ketonen
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