Finnisches Quartett
schon unter Verfolgungswahn? Sie hatte doch mit Lasse zusammen ein gemeinsames Ziel. Ulrike stieg aus dem Bett und ging auf dem hellblauen abgenutzten Fußbodenbelag zum Bad.
Lasse schloß die Tür des Hotelzimmers, nahm aus der Papiertüte ein dickes Handtuch und sah die Waffen – zwei halbautomatische Pistolen der Marke Beretta. Nachdem er geprüft hatte, ob die zehn Patronen fassenden Magazine gefüllt waren, lud er die Waffen und sicherte sie.
Lasse war nervös. Ulrike mißtraute ihm eindeutig. Es war nur eine Frage der Zeit, bis alles herauskam. Allerdings fürchtete er das nicht mehr so sehr, schließlich hatte auch Ulrike ihre Seele verkauft, als sie Ezrael den Befehl zum Tötengab. Ulrike akzeptierte die Möglichkeit, daß Ezrael Dexter umbrachte oder bei dem Versuch, ihn zu töten, selbst starb, genauso wie er akzeptierte, daß der Anschlag von Calvert Cliffs Menschenopfer fordern würde. Bisher hatte sich Ulrike verhalten wie eine verträumte, reine Idealistin. Begriff sie jetzt endlich, daß man den Krieg nicht ohne Kompromisse in einzelnen Schlachten gewinnen konnte? Nur der Sieg hatte Bedeutung, um ihn zu erreichen waren alle Mittel erlaubt. Und ein Sieger benutzte nie falsche Mittel, egal, was er tat, weil der Sieger die Geschichte seiner Taten schreiben konnte. Das zeigte vor allem die Kriegsgeschichte ganz nüchtern und schmucklos. Lasse verstand nicht, warum er sich trotzdem für seine Entscheidung schämte, und dafür, daß er sie vor Ulrike geheimgehalten hatte.
Die Badezimmertür knallte, und Ulrike ging entschlossen auf Lasse zu. »Wir marschieren also um ein Uhr in die Wohnung von John Dexter, bitten Ezrael um die Beweise und zeichnen Dexters Geständnis auf. Das heißt, wir entlarven sowohl das Konsortium als auch das US-Energieministerium einfach so.«
Lasse nickte mit ernster Miene, steckte die Pistole in den Gürtel, zog das T-Shirt darüber und reichte Ulrike die andere Waffe. »Du behauptest ja selbst, daß Ezrael dir gehorcht.«
Ulrike lachte lustlos. »Das hört sich etwas zu einfach an. Glaubst du, daß der Verrückte mir die Beweise einfach so gibt? Vielleicht ist Ezrael auf der Hut und nimmt sie gar nicht mit. Und was ist, falls Dexter nicht bereit ist, zu gestehen, auch nicht, wenn er bedroht wird? Was macht Ezrael, wenn ich doch nicht zulasse, daß er Dexter umbringt?« Ulrike stellte all die Fragen mehr sich selbst als Lasse. Sie wollte einen Weg finden, sie wollte Erfolg haben. Solch eine Gelegenheit bekam man nur einmal.
»Dexter wird schon reden. Auf die eine oder andere Weise.« Lasse klang so, als wäre er sich seiner Sache sicher.
Urplötzlich schoß Ulrike eine Idee durch den Kopf. Das war die Lösung, das Mittel, mit dem sie alles erreichen würde! So könnte sie ihren Auftrag ausführen und ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen. Vielleicht würde es gelingen. Sie schaute auf die Uhr und griff nach ihren Jeans, die auf dem Fußboden lagen, und nach ihrem Hemd auf dem roten, von der Sonne ausgebleichten Sessel. »Ich kenne ein paar Orte, an die Ezrael vor dem Anschlag gehen wollte. Wir haben noch fast zwei Stunden Zeit, komm, wir suchen ihn und besprechen alles vorher. Wenn ich die Beweise vor dem Treffen mit Dexter bekomme, kann ich Ezrael, wenn nichts anderes hilft, mit der Waffe unter Kontrolle halten.«
Lasse griff nach Ulrikes Schulter. »Das ist keine gute Idee. Der Mann, von dem du sprichst, ist ein geisteskranker Killer, mit so einem kann man keine Vereinbarungen treffen.«
»Ein Versuch lohnt sich immer. Ich bin schließlich Ezraels Bote.« Ulrike war wütend, weil sie diese Idee erst jetzt hatte. Und auch, weil sie nicht einmal mehr in Erwägung zog, den Befehl an Ezrael zurückzunehmen; sie wollte etwas Bedeutungsvolles erreichen. Auch auf die Gefahr hin, daß jemand starb.
Sie zog die Enden der Binde um ihren geschienten Daumen fester. Die Unruhe in ihr wuchs. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie vorwärts geschoben wie auf Schienen, es kam ihr so vor, als hätten das Zusammentreffen so vieler unterschiedlicher Dinge und auch die Überraschungen sie auf diesen Augenblick zugetrieben. Ganz so, als wäre alles organisiert und bereit für das große Ziel.
Es war Zeit aufzubrechen. Ulrike riß die gelbbraunen Gardinen auf, öffnete die Balkontür und trat hinaus in den Sonnenschein. Die Höhe bis zum Rasen erschien ihr nicht der Rede wert.
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Die Ermittlerin Saara Lukkari schaute in der von Lasse Nordman gemieteten Garage in Lauttasaari ihrem
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