Finnisches Quartett
Kollegen zu. Ossi Loponen mühte sich schon minutenlang mit dem schwachen Schloß von Nordmans Schreibtischschublade ab; er fluchte wie eine ganze Kirche voller Ketzer, aber das Schloß ging nicht auf.
»Dieser Loponen kriegt nicht mal einen Fünf-Euro-Schein kaputt«, spottete Saara Lukkari, die eine Fleecejacke des Eira-Fitneßclubs trug, und schaute dabei Ketonen an.
Der Chef der SUPO lächelte. So lebendig und glücklich hatte er sich seit ewigen Zeiten nicht gefühlt: Bei seinem letzten Fall war er schon das dritte Mal vor Ort im Einsatz. »Bevor du jemanden kritisierst, fahr in die Stiefel des anderen und betrachte die Situation mit Abstand«, sagte er übertrieben ernst. »Wenn du dann kritisierst, bist du schon weit weg, und der andere ist barfuß.« Ketonen grinste. »So, Loponen, nun hör endlich auf, da rumzufummeln, verdammich, und geh mal da weg«, sagte er und machte ein paar Schritte in Richtung Schreibtisch, doch im selben Augenblick flogen Holzsplitter durch die Luft, und Loponen landete mit seinem Hinterteil auf dem Betonfußboden.
Lukkari schaute abschätzend in das halbleere Schubfach und begann dann den Inhalt zu durchsuchen. Zwischen Visitenkarten, uralten Flugtickets und Stiften fand sich jedoch nichts Interessantes. Sie schaute zu Ketonen und schüttelte den Kopf, während in der Garage nebenan jemand ein Motorrad startete, das einen besseren Schalldämpfer gebraucht hätte.
Vor der Garage fielen Regentropfen auf den Asphalt, aber das Geräusch beruhigte Ketonen nicht; ihm gingen die Ereignisse des Tages durch den Kopf. Die ausländischenKollegen hatten am Nachmittag bestätigt, daß Eamon O’Donnell wahrscheinlich auch für den Mord an dem italienischen und dem deutschen Physiker verantwortlich war. Dank den Fotos kamen jetzt von überallher Informationen, wo O’Donnell in Europa unterwegs gewesen war. Die Existenz des Konsortiums konnte nicht mehr bezweifelt werden.
»Dauert es noch lange?« fragte Ketonen Mikko Piirala, der am Computer beschäftigt war und etwas Unverständliches murmelte. Aus irgendeinem Grund war der Chef der Abteilung für Informationsmanagement der SUPO ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten auf eigenen Wunsch mit zu diesem Einsatz gekommen. Ketonen beobachtete verwundert den Computerfreak, der auf der Tastatur herumtippte, und überlegte, ob dies das erste Mal war, daß er Piirala arbeiten sah. In der Regel fand man den Mann, der leidenschaftlich gern flirtete und sich stets nach der neuesten Mode kleidete, am ehesten in den Kaffeeräumen der SUPO oder beim Schwatz mit einer der Sekretärinnen, meist redete er gerade mal wieder von seinem Geländewagen, seinem Motorschlitten oder …
»Jetzt ist er geknackt«, sagte Piirala und unterbrach Ketonens Überlegungen. »Auf diesem Computer ist vorgestern eine Nachricht angekommen, und es ist auch eine abgeschickt worden.«
»Lies die eingegangene zuerst«, drängelte Saara Lukkari.
Piirala hämmerte eine ganze Weile im Kreuzfeuer der Blicke seiner Kollegen auf der Tastatur herum. »Die Situation hat sich verändert. Der entscheidende Anschlag muß so schnell wie möglich stattfinden«, las er schließlich vor. »Unterschrieben von ›Seraphim‹.«
Die Mitarbeiter der SUPO blickten sich unruhig an, die Nachricht verriet zu wenig. »Und die abgeschickte?« befahl Ketonen.
Die Sekunden vergingen, Piirala tippte auf Hochtouren, und das Hämmern auf der Tastatur hallte von den Wänden der Garage wider. Ketonen klopfte mit dem Schuh auf den Fußboden und schaute besorgt auf seine Uhr. Dann sah er, wie Piirala einen Blick auf Saara Lukkari warf, und begriff schlagartig, warum der Mann so scharf darauf gewesen war mitzukommen.
Piirala gab so etwas wie ein Juchzen von sich, in der Garage wurde es ganz still, und er las vor: »Führt den Anschlag von Calvert Cliffs am Mittwoch, dem fünften Mai, zwölf Uhr aus. Der Chef.«
Die Gesichter der SUPO-Mitarbeiter verrieten, daß jeder von ihnen verstand, was die Nachricht bedeutete. »Lasse Nordman ist der Chef von Final Action«, Ketonen kleidete die Gedanken aller in Worte. »Aber was zum Teufel ist Calvert Cliffs?« Er schaute auf seine Uhr – es zwar zehn vor sieben abends –, und ihm fiel ein, daß der Zeitunterschied zur Ostküste der USA sieben Stunden betrug. Sie würden zu spät kommen.
Piirala zauberte die Google-Suchmaschine auf den Bildschirm. »Calvert Cliffs muß mit irgend etwas zusammenhängen, was Ökoterroristen interessiert: Luftverschmutzung, Kinder
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