Finnisches Quartett
sieht wie ein ziemlich typischer Unfall am Ersten Mai aus: zuviel Schnaps und ein Herzanfall. Ich habe mich schon gewundert, daß überhaupt die Mordkommission hierhergeschickt worden ist und daß der Tatort außerordentlich genau untersucht werden soll. Und dann taucht auch noch die SUPO auf. Worum geht es?« erkundigte sich Virtala erneut neugierig, aber Ratamo reagierte nicht darauf.
Die Männer unterhielten sich eine Weile, und Ratamo erfuhr, daß keinem Mitglied des Personals, das sich unter den Gästen bewegt hatte, irgend etwas Besonderes aufgefallen war. Im selben Augenblick wurde angeklopft. »Das ist die letzte«, sagte Virtala und rief die Frau herein.
Ratamo setzte sich auf die Tischkante und hörte zu, wie Virtala die Kellnerin geschickt durch die Ereignisse desAbends führte. Dann kam die Wiederholung, und er ließ sie ihr Gedächtnis durchforsten.
»Hat sich irgend jemand seltsam verhalten?«
Die Frau gab ein trockenes Lachen von sich. »Aber hallo, heute ist der Erste Mai.«
Virtala überhörte die Spitze. »Ist Ihnen nicht irgend etwas Besonderes aufgefallen … Etwas Unerwartetes, irgend etwas, das nicht zu der Situation paßte? Im Verhalten von Elvas oder jemand anderem.«
»Na ja, so am Ersten Mai ist es ja wohl seltsam, wenn ein junger Mann mit niemandem ein Wort spricht, auf seinem Platz hockt und abwechselnd die Leute und die Decke anstarrt. Und er hat nur Wasser getrunken, Stunde um Stunde. Er sah irgendwie so aus, als ginge es ihm nicht gut … Oder als wäre er nervös.«
»Vielleicht hatte er noch von gestern einen Kater?« schlug Ratamo vor.
Virtala schüttelte den Kopf. »Dann wäre er wohl kaum zur Maifeier gekommen, um sich mit Wasser zu kurieren.«
»Erklärungen gibt es schließlich genug«, entgegnete die Kellnerin. »Vielleicht war er angespannt, weil er an seinen morgigen Arbeitstag gedacht hat, vielleicht hat er sich gerade mit einer Antabuskur herumgequält oder wollte eine Wette mit seinen Kumpels gewinnen. In dem Beruf hört und sieht man alles mögliche.«
Ratamo fiel eine Frage ein: »In welcher Sprache hat er das Wasser bestellt?«
Die Kellnerin hob die Augenbrauen, als sie sich erinnerte. »Auf englisch.«
»Also hat er doch geredet«, meinte Virtala verärgert.
»Aber sonst nichts, den ganzen Abend nicht«, erwiderte die Kellnerin erschrocken
Mehr war aus ihr nicht herauszuholen, also ließ man die Frau wieder an ihre Arbeit gehen. Die Polizisten unterhieltensich noch einen Augenblick und versprachen schließlich, sich gegenseitig auf dem laufenden zu halten.
Ratamo beschloß, den Kilometer bis zum Seahorse, wo er Ilona treffen würde, zu laufen.
Die Tür des Schweinestalls ging auf, und Ratamo wäre um ein Haar von einer Schweineherde umgerannt worden, die frisch und munter herausgestürmt kam. Allmählich hatte er genug von Pappnasen, Papierwedeln, Luftballons, Papierschlangen und vor allem von den feiernden Leuten, die überall herumgrunzten. Das alles hielt man nur aus, wenn man sich im gleichen Zustand befand, also beschloß Ratamo, sich im Expreßtempo einen leichten Rausch anzutrinken, bevor die Ketonens, die als Babysitter dageblieben waren, den Hausherren daheim erwarteten.
Vom Türsteher bekam Ratamo eine Garderobenmarke. Er ging geradewegs zum Tresen und richtete seine Aufmerksamkeit zunächst auf den »Château du Breuil«, einen zwölf Jahre alten Calvados, und dann auf die Gesellschaft am Ende des Hauptsaals, bei der es laut zuging. Ilona Si saß in der Mitte des langen Tischs und gestikulierte so wild, daß die direkt zur Seite abstehenden langen Zöpfe hin und her pendelten. Ratamo wunderte sich; sie hatten vereinbart, sich am Abend unter vier Augen ein paar Bier zu Gemüte zu führen.
Ratamo überlegte einen Augenblick, ob er schnell wieder verschwinden sollte, aber er wollte sich entspannen, und außerdem regte sich seine Neugier. Wenn die Gesellschaft auch nur annähernd so schillernd und lebendig war wie die Frau, die sie eingeladen hatte, dann würde der Abend garantiert angenehm werden. In dem Augenblick entdeckte Ilona ihn und winkte ihn heran. Ratamo kippte die Hälfte seines Getränks auf der Stelle hinunter, steckte sich einen Priem unter die Lippe und ging auf die schwarzen Seepferdchenzu, die an die Giebelwand gemalt waren. Schon auf dem Weg dorthin stieg seine Stimmung.
Ilona erhob sich und stellte Ratamo ihre schon reichlich angetrunkenen Bekannten vor, als wären sie gerade gekrönte Könige. Die Gesichter des
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