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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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nicht mehr Solidarität gab als unter den Polizisten. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, daß er vermutlich zu sehr mit den Problemen des Alltags beschäftigt war und die Künstler zu wenig.
    Als der Schauspieler Naaramaa das Trunkenheitsstadium erreicht hatte, in dem er unbedingt Aufmerksamkeit erregen wollte, stieg er auf den Stuhl und ließ seine Hosen fallen, so daß seine mit Elefantenrüsseln dekorierten Unterhosen sichtbar wurden. Nun wußte Ratamo, daß es ein unvergeßlicher Abend werden würde.

10
    Lasse Nordman lag in einem Graben neben dem Parkplatz des Touristenzentrums von Meijendel und zitterte vor Kälte. Ulrike hatte er in dem Versteck im Wald zurückgelassen, indem sie die Nacht verbracht hatten, eingewickelt in eine Wärmedecke. Zusammen mit einer dicken Schicht aus Blättern, Zweigen und Erde hatte die mit Aluminium beschichtete Plastikdecke verhindert, daß sie von den Wärmekameras der Polizeihubschrauber entdeckt wurden. Es war kurz vor acht Uhr, die Sonne schien im Naturschutzgebiet schon eine Weile, aber erst jetzt begann sie zu wärmen.
    Ein schwarzer Golf bog auf den Parkplatz ein und fuhr im Rückwärtsgang so unsicher in die Parkbucht, daß Lasse schon einen Hoffnungsschimmer sah. Er verfolgte konzentriert, wer aus dem Auto stieg, und schnaufte enttäuscht, als sich ein spindeldürrer alter Mann herausschob. Das bedrükkende Warten ging weiter.
    Nachts hatte Lasse gewagt, kurz durch das Gebiet von Meijendel zu streifen. Er hatte den Camcorder und die Digitalkamera versteckt und versucht, im Belagerungsring der Polizei eine Schwachstelle zu finden. Doch die holländische Polizei wollte sie offenbar um jeden Preis fassen: Das Naturschutzgebiet war von allen Seiten umstellt, auch am Meer.
    Lasse knurrte der Magen. Der Trockenproviant war seit der letzten Nacht alle, er hatte nicht wissen können, daß sie sich so lange verstecken müßten, und deswegen keine Vorkehrungen dafür getroffen. Doch ihre Flucht würde bald zu Ende gehen, er brauchte also keine Vogeleier, Wurzeln von Löwenzahn und Farnkraut, Schnecken, Ameiseneier und Frösche zu suchen. Die Natur war voller Nahrung für den, der wußte, was er suchte.
    Ohne Ulrike hätte sich Lasse in so einem riesigen Gebiet auch einen Monat lang verstecken können. Und das wäre keine Heldentat gewesen: Ein von seinem Großvater geführter Fernspähtrupp war vierundsechzig Tage hinter den feindlichen Linien geblieben und hatte die Lage erkundet. Und ein anderer von Hauptmann Jori Nordman geführterTrupp war neunhundertfünfzig Kilometer durch die karelischen Sümpfe gestapft. Die Erinnerungen ließen Lasse an die Hochschule für Landesverteidigung denken. Wie war es nur möglich, daß er einmal ernsthaft überlegt hatte, Militärgeschichte zu lehren?
    Lasse wollte sich für Ulrike opfern, weil ihnen beiden zusammen die Flucht aus dem umstellten Naturschutzgebiet auf keinen Fall gelingen würde. Ihm war nur ein Weg eingefallen, wie er aus dem belagerten Meijendel ausbrechen konnte. Der Plan war aus seiner Sicht so schlecht, daß er ihn nur akzeptierte, weil er Angst hatte, ihre Aktion würde sonst gänzlich scheitern. Die Polizei durfte nicht die ganze Zelle fassen. Zumindest könnte er so Ulrike beweisen, daß er fähig war, auch in einer schwierigen Situation selbstlos zu handeln. Seine Gefühle brauchte er vor Ulrike nicht zu beweisen.
    Es erschien absurd, daß er vorhatte, sein Leben selbst zu zerstören. Wenn er gefaßt wurde, bedeutete dies das Ende seiner Laufbahn als Ökoterrorist, die Verurteilung zu gewaltigen Schadensersatzzahlungen und wahrscheinlich auch Gefängnis und die Trennung von Ulrike. Beim Militär würde er nie wieder eine Arbeit finden. Er wäre gezwungen, sich mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu verdienen und in der Masse der unzufriedenen Finnen unterzugehen. Sein Kampfgeist erwachte. Er wäre nicht bereit, seine Ideen aufzugeben, sich unterzuordnen, zum Mündel des Wohlfahrtsstaates zu werden und sich mit einem stumpfsinnigen, nutzlosen, allzu leichten und selbstsüchtigen Leben abzufinden. Das hatten schon zu viele getan.
    Jetzt fuhren schon im Minutenabstand Autos auf den Parkplatz, er mußte zuschlagen, bevor hier zuviel Betrieb herrschte. Aber es fand sich kein geeignetes Opfer, wo zum Teufel trödelten heute alle Frauen herum, die allein unterwegs waren? Lasse preßte sich noch enger an die Grabensohle,als ein Polizeihubschrauber über ihn hinwegdonnerte.
    Endlich hatte er Glück. Eine blonde

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