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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Kunstmalers Eskelinen und der Schauspieler Naaramaa und Sandström kamen ihm vom Fernsehen oder irgendwo anders her bekannt vor. Ilona schien es zu genießen, als sie den anderen verkündete, daß sie mit einem Polizisten liiert war. Beide Begriffe ließen sich unterschiedlich interpretieren: Sie trafen sich erst zum drittenmal, und Ratamo arbeitete nicht im herkömmlichen Sinne als Polizist. Er wollte Ilona jedoch nicht mit einer Vorlesung über das Amt eines Oberkommissars bei der SUPO korrigieren, die Künstler hatten anscheinend schon ihre liebe Not damit, zu verkraften, daß überhaupt ein Polizist mit am Tisch saß. Der Kunstmaler Eskelinen lachte ihn herzlich an.
    Ratamo holte sich am Tresen einen zweiten Viertelliter, setzte sich an den Tisch, betrachtete die Decke des Raumes – das Giftgrün tat seinen Augen gut – und bemerkte zu seiner Erleichterung, daß ihn niemand mehr besonders beachtete. Vermutlich ging man davon aus, daß Ilona ihn nur vorübergehend in ihrer Pflege hatte.
    Genaugenommen fragte sich Ratamo verwundert, was Ilona eigentlich in ihm sah. Vielleicht faszinierte sie genau wie ihn, daß sie so verschieden waren. Ratamo empfand es wie eine echte Kulturreise, einen Menschen kennenzulernen, in dessen Leben sich wohl kein einziger Baustein fand, der auch bei Ratamo vorkam. Ilona war eine vierunddreißigjährige, kinderlose Singlefrau, die arbeitete, wann sie Lust hatte (meistens nachts), und dann Urlaub machte, wann sie wollte. Ihn packte der Neid.
    Nach der Hälfte des dritten Glases kam Ratamo dahinter, welche Rolle die Männer am Tisch spielten. Kunstmaler Eskelinen trat als Märtyrer auf, der sich seiner experimentellenKunst widmete und behauptete, sich allem zu verweigern, was auch nur im mindesten in Richtung Kommerz ging: Er wollte der Beste und nicht der Beliebteste sein, er wollte malen und nicht vermarkten. Nach seinem ausgezehrten Gesicht zu urteilen, hatte er zumindest eines seiner Ziele erreicht.
    Ratamo spürte, wie er sich entspannte, und genoß die Gesellschaft der anderen, obwohl das Gespräch in Sphären schwebte, in denen er gewöhnlich nicht herumflog. Oder vielleicht gerade deshalb. Er beobachtete die Gäste in dem traditionsreichen Lokal. Ein junger Mann mit einem Haarteil hatte sich ganz offensichtlich einen Rausch mit antisozialer Wirkung angetrunken: Er starrte auf einen unsichtbaren Punkt und schenkte den anderen Gästen keinerlei Beachtung. Ein rundlicher Mann mittleren Alters, der in einer Loge saß, versuchte, unterbrochen von hysterischen Lachsalven, seiner Frau irgend etwas zu erklären: Das war unbestreitbar ein Kicherschwips. Hier und da sah man flirtende Betrunkene, die auf der Suche nach Gesellschaft waren, und eine Rentnerin, die schwankend an einem Ecktisch hockte, versuchte krampfhaft nicht einzunicken. Mit einem schnellen Blick in die Runde entdeckte Ratamo auch ein paar Leute, die einen Duracell-Rausch hatten oder schon ganz steif waren.
    Schauspieler Naaramaa, der klassische depressive Teilnehmer an Feiern, begann voller Eifer, Ratamo vorzurechnen, wie er mit geliehenem Geld in Kirkkonummi ein Grundstück für 150   000 Euro als Geldanlage gekauft hatte und schließlich in einen gerichtlichen Vergleich geraten war. Ratamo erfuhr, daß die Einkünfte der Familie Naaramaas von Anfang an nicht für die Abzahlung der Schulden gereicht hatten, und er überlegte, wer ein größerer Idiot gewesen war, der Bankdirektor, der den Kredit gewährt hatte, oder der Künstler Naaramaa. Die durch die Liquiditätskrise verursachten Beziehungsprobleme hatte Naaramaa natürlichmit der beliebtesten finnischen Partnerschaftstherapie gelöst – mit der Scheidung. »Nach Hause kann man nicht gehen, und hier darf man auch nicht bleiben«, sagte Naaramaa. Er ließ seinen Gefühlen freien Lauf und bekam feuchte Augen.
    Plötzlich zog der Schauspieler Sandström die Aufmerksamkeit der anderen auf sich, indem er mit lauter Stimme eine ganze Reihe äußerst bekannter ausländischer Kollegen aufzählte, mit denen er sich nach eigener Aussage im Laufe der Jahre angefreundet hatte.
    »Auch ich habe lange einen Briefwechsel mit Robert de Niro geführt, er hat aber kein einziges Mal geantwortet«, erwiderte Naaramaa.
    Kunstmaler Eskelinen behauptete, auf der Biennale in Venedig im letzten Sommer sei er als Mensch gewachsen, worauf Ilona entgegnete, eine Erektion könne man nicht als Wachsen der Persönlichkeit ansehen. Ratamo kam zu dem Schluß, daß es unter den Künstlern auch

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