Finnisches Quartett
Gebäudekomplex des WTC arbeiteten auch am Sonntag Hunderte Menschen, was geschah, wenn er die Verräter nicht fand? Außerdem war die Vorbereitungszeit viel zu kurz gewesen. Es wunderte ihn, daß der Bote so zur Eile drängte; die bisherigen Anschläge hatten sie bis auf den Millimeter genau geplant. Doch ein Auftrag, den der Allerhöchste erteilte, konnte nicht mißlingen. So sprach Ezrael sich Trost zu, und als er den Geruch des Blutes spürte, beruhigte er sich vollends.
14
Die Frau, die das Verhör führte, haute mit der Faust auf den Tisch, und Lasse Nordman zuckte zusammen wie bei einem Elektroschock. Der großgewachsene Finne schwankte auf dem Metallhocker an der Grenze zwischen Wachen und Schlafen, zwei durchwachte Nächte forderten ihren Tribut. Außerdem fror er, die Polizisten hatten ihm die Sachen für die Spurensicherung ausgezogen und ihm dafür nur einen dünnen Baumwollpyjama gegeben. Der Schock durch die Nachricht von Jorges Tod hatte sich schon vor geraumer Zeit gelegt, aber die Fragen, die er hinterließ, waren quälend. Genau wie die Ungewißheit, ob Ulrike ohne ihn zurechtkommen würde.
Der fensterlose Verhörraum im Kellergeschoß der AIVD-Zentrale war schwach erleuchtet, aber die Halogenlampe auf dem Tisch mit ihrem schmerzhaft grellen Licht war direkt auf Lasse gerichtet. Die Verhöre liefen pausenlos seit dem Morgen. Im Laufe der Stunden wechselten nur die Personen, die ihn verhörten, diese aggressive Wölfin hatte sich als Katje de Groot vorgestellt, und die Rolle des sympathischen Ermittlers spielte ein Mann namens Henk Timmerman. Lasse hatte die Namen so oft gehört, daß er sie sich eingeprägt hatte, ohne es zu wollen.
»Wo ist Ulrike Berger!« brüllte de Groot auf englisch. Lasse hatte aufgehört zu antworten, nachdem er dieselben Lügen etwa hundertmal wiederholt hatte.
»Habt ihr Jorge Oliveira umgebracht?« Auf diese Frage reagierte Lasse immer noch, und zwar mit einem verächtlichen Blick.
Er fuhr sich mechanisch durch seine blonden kurzen Haare und versuchte die Ohren zu verschließen; das Geschrei der Ermittlerin zerrte an den Nerven. Das war eine primitive Methode, beim Verhör Druck auszuüben, aber sieerwies sich als wirksam, wenn jemand durch fehlenden Schlaf und Hunger geschwächt war. Die Holländer verstanden ihr Handwerk: Seine Identität und die von Ulrike und Jorge hatte man bereits ermittelt und ihren Hintergrund schon ausgeleuchtet, bevor er gefaßt worden war. Lasse mußte sich eingestehen, daß er Angst hatte, ohne genau zu wissen, wovor. War Jorge tatsächlich tot? Wie zum Teufel konnten die Sicherheitsleute eines Großkonzerns einen Menschen einfach umbringen? Zum Glück befand sich wenigstens Ulrike in Freiheit, das war das wichtigste. Er bemerkte, daß er schon jetzt Sehnsucht nach ihr hatte, wie sollte er es jahrelang allein im Gefängnis aushalten?
Der Stolz belebte ihn wie ein Adrenalinstoß, als ihm einfiel, daß er möglicherweise mit seinem Ablenkungsmanöver am Vormittag neben Ulrike auch Future.com und Gloria und Scott gerettet hatte. Nach Ulrikes Flucht könnte die Polizei nur von ihm Informationen erhalten, und er würde nichts sagen. Der Zufall bringt einen Helden hervor, dachte Lasse. Endlich hatte er Gelegenheit, zu zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt war. Nicht einmal die Schande, gefaßt worden zu sein, und der zu erwartende Haß der Verwandten belasteten ihn. Die Rolle des Märtyrers war immer noch reizvoller als ein nutzloses Leben auf dem Sofa; die materielle Übersättigung war das gefährlichste Gift dieser Zeit, sie lähmte ihre Opfer und machte sie zu Egoisten, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Auch in Finnland.
»Verdammt noch mal, glauben Sie etwa, der Terrorismus ist so etwas wie ein Partisanenkrieg der Helden aus dem Hinterwald?« Katje de Groot versuchte ihn zu provozieren und so zum Reden zu bringen.
Lasse hätte ihr um ein Haar eine giftige Antwort gegeben. Jetzt mußte er sich konzentrieren: Denk an irgend etwas anderes.
Die Hochschule für Landesverteidigung, Kriegsgeschichte …Partisanenkrieg. Diese Methode wurde schon im Jahre 1555 in den Kämpfen bei Joutselkä auf der Karelischen Landenge angewendet, als eine von Juho Maununpoika geführte finnische Abteilung von fünfhundertsechzig Soldaten und Bauern eine sechstausend Mann starke russische Armee unter dem Befehl von Fürst Bibikow herausforderte. Die Finnen mit Skiern versperrten den von hohen Schneewehen umgebenen Weg am Ende einer geeigneten
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