Finnisches Quartett
Kollegin fiel Timmerman plötzlich etwas ein. Die Überwachungskameras im Gebäude von Dutch Oil hatten zwar die Beratung des Konsortiums nicht aufgezeichnet, aber doch einen kurzen Ausschnitt der Ereignisse in der EDV-Zentrale aufgenommen. Er wandte sich an einen Techniker, der vor den Fernseh- und Computermonitoren saß. »Zeig mir das kurze Stück auf dem Band aus der EDV-Zentrale von Dutch Oil.«
Timmerman beugte sich vor, um die Aufzeichnung zu betrachten, er kniff die Augen zusammen, und schließlich fand er, was er suchte. »Zoome diesen Computerbildschirm heran.«
Mit viel Mühe gelang es dem Techniker, den Computermonitor zu vergrößern, vor dem sich das Trio von Final Action versammelt hatte, und die Bildschärfe so einzustellen, daß man darauf etwas erkennen konnte. Das genügte Timmerman, er erkannte van der Waal und dann noch einen anderen Mann. »Dieser Kerl da. Such auf einem anderen PC ein Foto Iwan Potanins, des Haupteigentümers von Oil Russia.« Timmerman zeigte mit dem Finger auf den Monitor und zupfte ungeduldig an seiner bunten Fliege.
Der Techniker führte den Befehl aus. Ein paar Minuten später jubelte Timmerman. Was er sah, waren zwei Fotos von ein und demselben Mann, von Iwan Potanin. Bei Dutch Oil war vorgestern nacht eine Beratung abgehalten worden, an der auch der russische Ölzar teilgenommen hatte. Lasse Nordman sprach die Wahrheit. Wenn auch derRest von Oliveiras Nachricht stimmte, stand ein Skandal weltweiten Ausmaßes bevor. Doch wer zum Teufel war der Engel des Zorns?
15
Die breiten Dielenbretter der in den zwei obersten Stockwerken eines Amsterdamer Wohnhauses versteckten Kirche Ons’ Lieve Heer op Solder knarrten unter den nervösen Schritten von Pieter, dem Sicherheitschef van der Waals. Das labyrinthische Gebäude des Amstelkring-Museums, die vielen Touristen waren für einen Leibwächter ein Alptraum.
Mary Cash fluchte und verwünschte Pieter in die allertiefste Hölle; eben vor dem Eingang hatte er sie mit harter Hand einer Leibesvisitation unterzogen. Die Lust auf eine Zigarette plagte sie. Manchmal brachte der Glauben auch amüsante Absurditäten hervor, dachte sie, während sie im Touristenprospekt las und eine rotblonde Locke zwischen den Fingern hin und her drehte. Als um 1660 die Macht in Amsterdam von den Katholiken an die Protestanten überging und katholische Gottesdienste verboten wurden, kamen die Einwohner auf die Idee, Kirchen in normalen Wohnhäusern zu verstecken. Mary vermutete, daß die Einhaltung des Verbots nicht sonderlich genau überwacht worden war, denn den Lärm der Psalmen singenden Gottesdienstbesucher und der Orgeln von der Größe eines Transporters mußte man bis Belfast gehört haben.
Pieter und das Warten auf van der Waal widerten sie so an, daß ihre Gedanken zwangsläufig bei den Briten landeten. Ihren Mann Fergus hatte man der Beteiligung an dem Bombenanschlag von Omagh verdächtigt, aber die Briten hatten keine stichhaltigen Beweise zusammenbekommen. Deshalb wurde Fergus zu Tode mißhandelt. Nur die britischenGefängniswärter oder Soldaten konnten Fergus ermordet haben: IRA-Mitglieder waren es ganz sicher nicht gewesen, und protestantische Loyalisten hatten in dem Republikanerflügel des Terroristengefängnisses von Maze nichts zu suchen. Die Briten wendeten heimlich genau die gleichen Methoden an wie die IRA-Mitglieder, die sie als Terroristen beschimpften. Kürzlich war im Zusammenhang mit einem Mordprozeß sogar enthüllt worden, daß die Einheiten der britischen Armee und Polizei in Nordirland in den achtziger Jahren gemeinsam mit den protestantischen Loyalisten katholische Zivilisten ermordet hatten. Bei britischen Männern war alles das zu finden, was Mary für das Widerlichste auf der Welt hielt: Überheblichkeit, die Verehrung blödsinniger Traditionen, Anmaßung …
Mary ließ den Blick über die geschnitzten Engel der Kirche Unser lieber Herr auf dem Dachboden zu dem schönen Jesus-Triptychon und dann zu dem von Jacob de Wit gemalten Altarbild wandern, das zwischen den Marmorsäulen am Rand des Altarraums zu sehen war. Nach dem Tod des Vaters stand sie das erste Mal wieder in einer Kirche. Ezraels Wohnung hielt nur Ezrael selbst für eine Kirche.
Sicherheitsleute begleiteten van der Waal, der schnaufend in den Kirchensaal gewatschelt kam und einen schnellen Blick auf seinen Sicherheitschef Pieter und auf Mary Cash warf. Er suchte sich einen Sitzplatz am Rande des Kirchensaals, der abgelegen genug war, streichelte den
Weitere Kostenlose Bücher