Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
Vom Netzwerk:
an. Im achten Stockwerk eures Gebäudes liegen zwanzig Kilo Semtex-Sprengstoff, und das Paket explodiert um fünfzehn Uhr zehn. Hast du verstanden?« Er legte eine kleine Pause ein, um den folgenden Satz zu betonen. »Euer Gebäude wird in genau zehn Minuten zerstört«, sagte er laut und beendete das Gespräch.
    Das würde todsicher funktionieren, denn nach den Terroranschlägen im Herbst 2001 nahm man in allen WTC-Gebäuden jede Bomben- und Terrordrohung extrem ernst. Es dauerte nur ein paar Sekunden, und die Alarmsirenen heulten auf, und die ersten Menschen eilten aus dem Gebäude. Ezrael schaute abwechselnd auf die Türen und auf seine Uhr. Aus der achten Etage bis zum Ausgang würde man schätzungsweise zwei bis fünf Minuten brauchen, abhängig davon, wie schnell die Fahrstühle waren. Über die Treppen würden ungefähr sechs Minuten vergehen. Mit dem Feuer brachte er die Wahrheit zum Vorschein.
    Jetzt kam der Augenblick, in dem der Engel flog.
»Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Rache sieht, und wird seine Füße baden in des Gottlosen Blut«
, murmelte Ezrael. Er ließ die Bestie frei, das Rot loderte auf und erfaßte die ganze Welt. Er ging etwas näher an den Ausgang heran und blieb weit genug von den Überwachungskameras entfernt stehen. Jetzt kamen schon Dutzende Menschen herausgerannt, und die Sirenen der Polizeiautos heulten irgendwo weit weg, als sängen sie ihm Hosianna. Vor Erregung spannten sich seine Wangenmuskeln bis zum Zerreißen.
    Ezrael sah Gloria Davegna und Scott Anderson hinter den Glastüren und legte die Hände auf die Holzgriffe des Gürtels. Die Verräter schoben sich nebeneinander durch die Tür und wollten zu der Rasenfläche, die sich hinter Ezrael erstreckte. Er riß das Urumi-Schwert hoch, das er sich um die Taille gebunden hatte, und ließ die vielschneidige Metallpeitsche durch die Luft sausen wie in zahllosen Trainingsstunden vorher.
»Der Engel Gottes Ezrael läßt herausgehen aus dieser Flamme und stellt hin das Gericht der Entscheidung. Dies ist also ihr Gericht.«
    Die über einen Meter lange, papierdünne Klinge pfiff in der Luft, als der Engel des Zorns die indische Waffe überseinem Kopf kreisen ließ; die spiralförmige Klinge wurde länger, wenn man sie drehte. Da in der Nähe der Verräter niemand anders mehr zu sehen war, stürmte Ezrael zu ihnen hin und schlug mit dem Schwert nach Scott Andersons Hals. Die Peitsche Gottes. Das Blut spritzte auf Ezraels Sonnenbrille, er riß sie sich von den Augen, ließ das Urumi kreisen, und die Schwertschneide setzte Gloria Davegnas Leben ein Ende; ihr Gesicht erstarrte, und zurück blieb ein ungläubiger, grotesker Ausdruck.
    Ezrael vollendete seine Arbeit mit einigen wütenden Hieben; die Schneide des Urumi drang ein in das Fleisch wie die Wahrheit in das Bewußtsein. Er spürte in seinen Fingerspitzen, wie der Tod von der Bestie auf die Verräter überging, und das Schreien der Menschen rundum strömte wie ein Lobgesang in seine Ohren.
    Schließlich ließ er das Schwert fallen und floh im Laufschritt den Ort der Morde. Da traf sein Blick auf den von Ulrike Berger. Die zitternde, bleiche Frau starrte ihn direkt an. Ezrael glaubte den Engel des Freskos »Die Verkündigung an Maria« zu sehen und begriff sofort, warum das Gesicht der Frau ihm ständig durch den Kopf gegangen war. Die goldgelben an den Spitzen gelockten Haare, der großgewachsene und schlanke Körper sowie die feinen, fast griechischen Gesichtszüge hatten nicht ausgereicht, um ihn zu überzeugen, aber die rot schimmernde Narbe auf der Wange genügte. Sie befand sich genau an derselben Stelle wie der Riß in der Wange des Engels auf seinem Altarbild. Das mußte etwas bedeuten. Die Frau war eine Offenbarung.
    Im selben Augenblick verschwand sie in der Menschentraube. Die Alarmsirenen des WTC heulten immer noch, und ein gleichmäßiger Menschenstrom ergoß sich durch die Türen. Ezrael rannte zur Strawinskylaan und wischte sich unterwegs das Blut von den Händen. Dann sah er mittenim Verkehr die fliegenden blonden Haare und beschleunigte sein Tempo. Er mußte unbedingt erfahren, welche Offenbarung die Frau verkörperte.

18
    Sie spürte den Geruch des britischen Offiziers, seine Hand auf ihrer Haut, seine Bewegungen in ihr. Mary Cash saß steif wie ein Amboß auf dem Metallhocker und biß sich auf die Unterlippe, ihre roten Locken klebten auf der schweißnassen Stirn, obwohl die Betonwände Kälte ausstrahlten. Sie schaffte es nicht, ihre Erinnerungen zu

Weitere Kostenlose Bücher