Finnisches Quartett
kommen würde, und hob den Zeigefinger. Im selben Augenblick sah Ratamo im Augenwinkel die Bremslichter vor sich aufleuchten und trat so heftig auf die Bremse, daß Mustis Schnauze auf sein Genick prallte. Ratamo wischte sich mit der einen Hand den Geifer ab und holte mit der anderen das Handy aus der Tasche. Es würde auch seine guten Seiten haben, daß Ketonen in Rente ging.
Weil Ketonen es eilig hatte, lenkte Ratamo seinen Käfer von der Fredrikinkatu auf den Innenhof der SUPO und nicht von der Merimiehenkatu ins Parkhaus. Er fuhr in die einzige freie Parkbucht und wunderte sich, warum so viele SUPO-Mitarbeiter an diesem Sonntag im Dienst waren. Ketonen brauchte eine Weile, bis er Musti vom Rücksitz hervorgelockt hatte, währenddessen bewunderte Ratamo das hellbraune hundertfünfzig Jahre alte Holzhaus auf der anderen Seite des Hofes. Das Gebäude, das unter Denkmalschutz stand, wurde von der Polizeibehörde der Provinzregierung von Süd-Finnland genutzt.
Ratamo zog am Hintereingang der SUPO die Keycard durch den Kartenleser. Die Männer betraten den Fahrstuhl, wo sich der junge Ermittler Paavo Kokko zu ihnen gesellteund Ketonen höflich grüßte. Ratamo benutzte wieder seine Keycard und warf dann abwechselnd einen Blick auf die Lichtpunkte an der Decke des modernen Aufzugs und auf Kokko, der einen hellgrauen Anzug trug, seine Haare mit irgendeinem Pomadenzeug eingeschmiert hatte und selbst im Aufzug die modische Sonnenbrille nicht absetzte. Ratamo mußte lächeln, und Ketonen warf ihm einen giftigen Blick zu.
Die Fahrstuhltür öffnete sich. In der Regel sah man als erstes den schönen hellen Kachelofen, der jetzt aber von Ketonens Sekretärin verdeckt wurde. »A 310 ist besetzt, die Besprechung findet im Zimmer der operativen Zentrale statt«, sagte sie. Nachdem Kokko ausgestiegen war, fuhr der Aufzug wieder hinunter in die zweite Etage.
Ketonen und Ratamo betraten den Raum, in dem Saara Lukkari etwas an die weiße Tafel schrieb. Sie tat das mit so viel Schwung, daß der trainierte Bizeps der fanatischen Sportlerin unter dem engen T-Shirt hüpfte. Ulla Palosuo betrachtete ein Videobild auf der Leinwand, die Elektrogeräte surrten. Ketonen stürzte sich auf das belegte Brot, das auf dem Tisch duftete, wie ein Hecht auf seine Beute; das Mittagessen war heute ausgefallen.
»Hannu Elvas wurde ermordet.« Alle sahen Ratamo an, der für die Kollegen die Fakten zusammenfaßte, die sie vom Gerichtsmediziner erfahren hatten. »Aber die Suche nach dem Mörder kommt unglaublich schlecht voran, die Passagierlisten der Auslandsflüge in den letzten Tagen haben wir auch erst heute morgen erhalten.« Ratamo ließ unerwähnt, daß er selbst ein Auge auf die Passagierlisten hatte. Seiner Ansicht nach konnte es sehr wohl sein, daß der Mörder von Elvas entweder aus Holland gekommen oder dorthin gereist war, weil sich das Konsortium in Holland getroffen hatte und dessen Vorsitzender ein Holländer war.
Ulla Palosuo meldete sich wie ein Schulmädchen. Ratamo bemerkte, daß es ihre Frisur im Laufe des Tages etwas zusammengedrückthatte, vielleicht war sie doch nicht mit einer Stahlkonstruktion abgestützt.
Ketonen erteilte seiner Nachfolgerin das Wort. »Alle Details der SMS, die Jorge Oliveira geschickt hat, stimmen. Nach Auffassung des AIVD wurde bei Dutch Oil tatsächlich eine Beratung abgehalten, an der die Führer von fünf multinationalen Ölkonzernen teilnahmen«, berichtete Ulla Palosuo.
»Und der AIVD sucht in Amsterdam eine nordirische Frau namens Mary Cash. Ist das so richtig?« vergewisserte sich Palosuo bei Saara Lukkari.
»Ja. Mary Cash wird seit heute vormittag observiert, und die Überwachung hat auch schnell zu einem Ergebnis geführt: Die Frau hat vor ein paar Stunden den Vorstandsvorsitzenden von Dutch Oil, Jaap van der Waal, getroffen. Soll ich das Personenprofil von Cash zusammenfassen?« Lukkari schaute abwechselnd zum alten Chef und zur neuen Chefin, bis Ketonen ihr bedeutete fortzufahren.
Es stellte sich heraus, daß Mary Cash vor fünfunddreißig Jahren in Belfast geboren worden war, katholische Schulen ihrer Heimatstadt besucht und am renommierten Trinity-College der Universität Dublin studiert hatte. Ihr Ehemann Fergus Cash, ein IRA-Terrorist, wurde 1999 im Gefängnis ermordet. Über den Vater von Mary Cash, Patrick O’Donnell, gab es bei Europol eine dicke Akte, denn der Mann hatte von den fünfziger Jahren bis zu seinem Tod, das hieß bis zum Jahr 2000, bei der IRA gearbeitet. »Mary
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