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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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stich die Nadel hinein.«
    »Das geht nicht«, sagte Ulrike entschlossen und brauchte sich dabei gar nicht zu verstellen, denn sie hatte Angst vor Spritzen. Ihr blieben nur noch ein paar Augenblicke, sie würde niemals ihr Versprechen erfüllen können, die neue Weltwirtschaft würde nie verwirklicht …
    Ezrael überlegte einen Augenblick und drückte dann sein Knie mit solcher Wucht zwischen die Schulterblätter des Engels der Offenbarung, daß der aufschrie. Er bog den zartenArm in eine geeignete Stellung, die feucht gewordene Spritze rutschte in der Hand.
    Ulrike konnte ihre andere Hand bewegen, aber der Wahnsinnige drückte sie so fest auf die Straße, daß sich nicht einmal ein Versuch lohnte. Sie spürte, wie die Nadel in der Ellbogenbeuge in ihre Ader eindrang, vielleicht brachte das Gift ein schnelles Ende. Warum war sie in diese leere Gasse gegangen, warum kam niemand? Sie hatte jetzt Angst wie einst in ihrer Kindheit, als ihr alles unsicher erschien und sie sich vor dem Unbekannten fürchtete. Sie würde jetzt sterben …
    »Bis zu meiner Kirche ist es ein weiter Weg. Gehe ganz ruhig. Wenn der Kolben auch nur einen Millimeter hineingeschoben wird, bekommst du eine tödliche Dosis des synthetischen TMF, das ist fünftausendmal stärker als Heroin. Mein Auftrag ist es, Verräter so zu opfern, daß ihr Tod wie ein Unfall aussieht«, sagte Ezrael stolz.
    Er drückte seinen Daumen auf die Spritze, legte den Mantel als Tarnung darüber, und so verschwanden sie wie ein verliebtes Paar Hand in Hand im Nieselregen.

20
    Die Skorpiontätowierung unter dem Träger von Nelli Ratamos Kleid bewegte sich, als das Mädchen an der Wohnungstür des Großvaters in der Museokatu in Töölö klingelte. Sie zuckte zusammen, denn als Antwort heulte eine Bohrmaschine auf. Arto Ratamo drückte heftig auf den Klingelknopf, aber es dauerte eine Weile, bis das Dröhnen des Bohrers, das ihnen durch Mark und Bein ging, aufhörte. Ratamo wäre am liebsten in die Ratakatu zurückgekehrt, wo die Kollegen immer noch unter großem Zeitdruck ackerten, doch er wollte weder seinen Vater nochseine Tochter enttäuschen und hatte deswegen den vor langer Zeit vereinbarten Besuch zum Abendessen nicht abgesagt.
    Die Tür ging auf, und Tapani Ratamo, in einen dunklen Anzug gekleidet, starrte seinen Sohn mit der Bohrmaschine in der Hand an. Er schien etwas magerer geworden zu sein als bei ihrem letzten Treffen, und seine Haut wirkte gelblicher, stellte Ratamo fest.
    »Ich habe gedacht, beim Warten könnte ich noch die Löcher für ein paar Handgriffe und ein Geländer bohren«, antwortete er auf die unausgesprochene Frage seines Sohnes. »Ich bekomme von den Zellblockern manchmal Schwindel- und Schwächeanfälle«, erklärte Tapani Ratamo mit ganz alltäglicher Stimme.
    Man hat noch gar nicht die Tür hinter sich zugemacht, da drückt der Alte schon die Stimmung, ärgerte sich Ratamo, während Nelli bereits mit ihrem Opa zusammen in Richtung Küche ging. Der Abend würde so fröhlich wie ein Klagelied werden. Ihn wurmte es auch, daß Nelli ihren Großvater anscheinend ohne große Erklärungen so akzeptierte, wie er war, obwohl sie ihn nur ein paarmal gesehen hatte, bevor der Rentner vor einem Jahr seine Wohnung in Spanien verkauft hatte und nach Finnland zurückgekehrt war, um unter seiner Krankheit zu leiden. Oder wohl eher, um zu sterben, dachte Ratamo. Tapani litt unter Bauchspeicheldrüsenkrebs und sprach davon immer und überall, auch mit sich selbst. Nach dem Gesetz war Tapani Ratamo immer noch sein Vater, obwohl sie biologisch nicht einmal miteinander verwandt waren. Das hatte er im letzten Sommer erfahren, und es wunderte ihn immer noch, wie wenig überrascht er gewesen war.
    »Hier hast du ein Bier für die Zeit, bis der Chefkoch Luis kommt, er verspätet sich auch. Du trinkst doch gern eins«, sagte Tapani Ratamo und drückte seinem Sohn eine gekühlteFlasche Bier in die Hand. »Luis war in Marbella mein Nachbar, er ist kein Spitzenkoch, aber er kocht gern.«
    Ratamo zog im Flur seine Stiefel aus, setzte sich im Wohnzimmer in einen Sessel und schüttete sich die Hälfte des Malzgetränks in die Kehle. Der Durchbruch, der ihm am frühen Abend bei seiner Arbeit gelungen war, schmeichelte immer noch seinem Selbstbewußtsein; möglicherweise hatte er den Mörder von Professor Elvas gefunden. In gewisser Weise. Beim Durchstöbern der Angaben zu den fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahre alten Männern, die in den letzten Tagen zwischen

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