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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Holland und Finnland geflogen waren, hatte er herausgefunden, daß einer der Passagiere, ein Mann namens Liam Boyle aus Belfast, nach den Angaben der nordirischen Behörden im Jahre 2001 gestorben war. Jemand hatte also einen gefälschten Paß benutzt. Die Verbindung zu Nordirland erschien wichtig, denn dorther stammte ja Mary Cash, die man verdächtigte, für das Konsortium zu arbeiten. Es ärgerte ihn, daß er bis zum nächsten Morgen warten mußte, bevor er erfuhr, was die Polizei in Nordirland und der holländische Nachrichtendienst über diesen falschen Liam Boyle wußten.
    Er kippte den Rest des Biers hinunter, fühlte sich aber kein bißchen entspannter. Der Mord an Elvas, Lasse Nordman und die Arbeit, die in der Ratakatu wartete, gingen ihm ständig durch den Kopf. Es machte ihn wütend, daß er sich von der allgemeinen Hektik anstecken ließ. Die Hektik war der Maßstab des Erfolgs, deswegen mußte man sie auf Gedeih und Verderb haben. Oder vielleicht füllten die Menschen mit der Hektik nur ihr Leben, da ihnen kein anderer Inhalt einfiel. Die Klingel an der Tür schrillte gerade, als Ratamo sich ein zweites Bier holen wollte. Er öffnete die Tür und erblickte einen Südländer, der, nach seinem breiten Lächeln zu urteilen, gerade im Treppenhaus geheiratet hatte.
    »Luis de San Simón«, sagte der Mann und schien sich zufreuen, als er hörte, daß er dem Sohn seines guten Freundes die Hand gab. Nach einem Redeschwall in englisch mit iberischem Akzent hängte der quecksilbrige Mann dem verdutzten Ratamo seinen Mantel über den Arm.
    »Hola, Tapani. Cómo está usted?«
rief Luis und steuerte auf die Geräusche zu, die aus der Küche herausdrangen.
    Für die Stimmung bei diesem gemeinsamen Abend war das nur gut, der Spanier schien das ganze Gegenteil von seinem apathischen Vater zu sein, überlegte Ratamo und gesellte sich zu den anderen in die Küche.
    »Luis bereitet für uns ein spanisches Omelett mit Pilzen und Speck zu. Er sagt, die Pilze habe er schon gestern Abend zerkleinert und in einer Olivenöl-Knoblauch-Soße mariniert.« Tapani Ratamo übersetzte das muntere Geplapper seines Freundes.
    Nelli fühlte sich in der Gesellschaft der Rentner ganz ausgezeichnet: Sie half beim Essenzubereiten, schwatzte fröhlich drauflos und steckte sich dann und wann einen Leckerbissen in den Mund. In gewisser Weise ärgerte das Ratamo; das Mädchen fühlte sich in der Gesellschaft aller anderen Erwachsenen wohl, nur nicht in seiner. Seine Besorgnis nahm noch zu, als er daran dachte, daß Nelli überhaupt kein Hobby mehr hatte. Wie könnte er es schaffen, daß sie sich für irgend etwas begeisterte?
    »Der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine Erkrankung alter Menschen, am häufigsten tritt er bei Patienten im Alter von siebzig Jahren auf«, klärte Tapani Ratamo seinen Freund in englisch auf. »Er läßt sich schwer feststellen, weil die Bauchspeicheldrüse hinter den anderen Organen versteckt ist, er kann sich dort unbemerkt entwickeln.«
    Die Geschichte kannte Ratamo. Er überlegte, ob der Vater damit, daß er ständig von dem Krebs redete, seine Angst verdeckte oder ob der Alte schlauer war, als er dachte. Zumindest hatte Tapani seine schwere Erkrankung so alltäglichgemacht, daß ihn anscheinend niemand bemitleidete. Die Erkrankung hatte den wortkargen Mann verändert, er war viel offener geworden. Es schien irgendwie grotesk, daß sich Tapani nach dem Verlust seiner Frau dreißig Jahre lang von der Welt zurückgezogen hatte und kurz vor seinem eigenen Tod zurückkehrte.
    Ratamo verließ die Küche, um sich die Wohnung seines Vaters anzusehen; das war ja sein erster Besuch hier, obwohl Tapani schon vor einem Jahr nach Finnland zurückgekommen war. Die antiken Möbel im Wohnzimmer ließen ihn an seine Kindheit denken: In diesem Sessel hatte seine Mutter oft gesessen und gelesen, und auf dem Sofa hatte sich Klein-Arto die Strafpredigten des Vaters anhören müssen. Es wunderte ihn, daß der Alte die Möbel von damals behalten hatte, und der Stoff sah noch fast wie neu aus. Hatte er sie beziehen lassen? Als er den »Kleinen Hund« sah, eine Kohlezeichnung von Jalmari Ruokokoski, mußte er lächeln. Das war sein Lieblingsbild.
    Ratamo warf einen Blick ins Schlafzimmer, und was er da sah, verblüffte ihn. Er ging zu der Kommode und betrachtete ganz verlegen etwa zehn Fotos von sich selbst. Wie war Tapani zu den Bildern aus seiner Studienzeit und aus den letzten Jahren gekommen? Auf der Kommode stand außerdem ordentlich

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