Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
Vom Netzwerk:
aufgereiht ein halbes Dutzend Fotos von Nelli, auch bei denen konnte sich Ratamo nicht erinnern, sie dem Vater geschickt zu haben. Die Neugier plagte ihn, aber er beschloß, zumindest heute nicht danach zu fragen. Tapani war seit seiner Erkrankung so peinlich offen geworden, daß er womöglich sentimental wurde, fürchtete Ratamo. Plötzlich fiel ihm ein, daß auch Nelli biologisch überhaupt nicht mit Tapani verwandt war, und nun tat ihm der Alte schon fast leid.
    Ratamo kehrte in die Küche zurück und beobachtete seinen Vater. Es fiel ihm schwer zuzugeben, daß sie sich ingewisser Weise ähnelten. Beide galten als widersprüchliche Charaktere: in sich gekehrt, aber sozial, fröhlich, aber nachdenklich. Genetische Faktoren hatten jedenfalls nicht zu diesen Übereinstimmungen geführt. Vielleicht hatte er als Kind ungewollt Verhaltensmuster von Tapani übernommen.
    Ratamo mußte den Tisch decken. Das Diamant-Service der finnischen Firma Arabia erinnerte ihn an ein paar schreckliche Weihnachtstage, die er aus dem einen oder anderen Grund allein mit dem Vater verbracht hatte. Dieses Schweigen damals hätte man nicht einmal mit einem Diamanten zerschneiden können.
    Als das Essen schließlich fertig war, setzten sie sich an den Tisch, und Ratamo kostete den Wein, als Luis ihn dazu aufforderte. Der vollmundige Marques de Villamagna Gran Reserva Rioja schmeckte leicht nach Zimt. Er bekam den Wein in die falsche Kehle, als Luis das Gespräch auf die Krankheit seines Freundes lenkte. »Wirkt die Behandlung?«
    Tapani Ratamo wickelte ein Stück der lecker aussehenden Vorspeise, Serrano-Schinken und Honigmelone, um die Gabel. »Der Krebs ist zu weit fortgeschritten. Er ist im vierten Stadium der Ausbreitung, das ist das schlimmste, und hatte schon Metastasen über die lokalen Lymphdrüsen hinaus geschickt, bevor ich in Behandlung kam. Eine Operation kommt nicht in Frage, ich versuche jetzt eine Kombination von Bestrahlung und Zellblockern. Vorläufig ist mein Allgemeinzustand noch so gut, daß ich 5-Fluorourasil und Gemsitabin vertrage.«
    Tapanis Tapferkeit beeindruckte Ratamo, denn er wußte, welche Nebenwirkungen und Schmerzen eine Krebsbehandlung verursachte. Er nahm sich vor, an etwas anderes zu denken, und als erstes fiel ihm Ilona Si ein. Gerade jetzt hatte er Sehnsucht nach Ilonas lebensfroher Welt. Die Frau wagte es, die herrschende Meinung in Frage zu stellen undein Leben außerhalb der Normen zu führen. Und dabei fürchtete sie nicht, isoliert zu werden. Ratamo überlegte, ob er Ilona möglicherweise nur als Mittel benutzte, um für einen Augenblick dem Streß seines eigenen Lebens zu entfliehen.
    Die letzte Scheibe Serrano-Schinken verschwand in seinem Mund, und der Genuß war ihm anzusehen. Doch als er kurz zu Tapani hinschaute, kehrten die Probleme sofort zurück. Sollte er die Suche nach seinem biologischen Vater fortsetzen oder nicht? Vielleicht müßte er als Abschluß seiner kriminalistischen Bemühungen Irene anrufen, da er nun mal auch mit allen anderen Bekannten und Verwandten seiner Mutter gesprochen hatte. Soweit er sich erinnerte, hatte seine Mutter keinerlei Kontakt zu ihrer in Turku wohnenden Halbschwester Irene gehabt, aber einer seiner beiden Kusinen war eingefallen, daß sich die beiden Frauen in ihrer Jugend sehr gut verstanden hatten.
    Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als Tapani, dem es offensichtlich nicht gut ging, um Entschuldigung bat und im Bad verschwand. Mit dem Recht des Koches übernahm Luis die Rolle des Gastgebers und forderte Ratamo auf, sich über das Hauptgericht herzumachen.
    Das Pilzomelett umschmeichelte den Geschmacksnerv. Neben den Grundgewürzen schmeckte man auch Chili und etwas, das Ratamo nicht identifizieren konnte. Die Pilze mußten einen ziemlich starken Eigengeschmack haben, weil selbst die Gewürze ihr Aroma nicht völlig überdeckten. Der Koch hatte die Pilze jedoch so klein geschnitten, daß man von ihrem Aussehen nur noch die dunkle Farbe erkennen konnte. Ratamo bemerkte, daß Nelli immer noch lustlos in ihrer Vorspeise herumstocherte, und forderte sie auf, den Teller leer zu essen.
    »Was für Pilze sind das?« fragte Ratamo auf englisch.
    »Ich weiß nicht, ich habe sie aus dem Frischeregal genommen.Auf großen Schildern wurden sie angepriesen, und sie waren teuer, also dachte ich, daß sie gut sein müssen. Und das sind sie ja«, erklärte Luis fröhlich.
    Ratamo nickte. Dieses Pilzomelett hatte einen speziellen Geschmack, der deutlich stärker war

Weitere Kostenlose Bücher