Finnisches Quartett
Mann das Thomas-Evangelium und die Petrus-Offenbarung kennengelernt? Jedenfalls nicht in der Kirche. »Was versuchst du mit diesem … deinem Auftrag zu erreichen?« fragte Ulrike mit vernehmlicher Stimme.
Ezrael legte weiter Zeugnis ab, ohne Pause. »… die katholische Kirche ist ohnehin verdorben, Homosexuelle werden zu Bischöfen ernannt, Hunderte Pfarrer werden des Kindesmißbrauchs verdächtigt, und Tausende Pfarrer leben heimlichmit einer Frau zusammen. Ganz zu schweigen von den Sünden der Kirche in der Vergangenheit, der Verbrüderung mit den Nazis und …«
Auf einmal schien Ezrael ihre Frage zu verstehen. »Wenn die VERSCHWÖRUNG der Verräter zerschlagen wird, erhält der wahre Glauben seine Chance. Die Veränderung beginnt in den Menschen ohne Kirche, genau wie bei mir. So sagt es das Thomas-Evangelium. Die Wahrheit wird alle Systeme zerstören, die Kirchen werden fallen und danach die Staaten.«
Ulrike verdaute das Gehörte, ihr Hirn war von der Müdigkeit betäubt und arbeitete langsam. Eines war ihr jedenfalls klar: Sie mußte bestreiten, daß er das Recht besaß, die Verräter zu ermorden, wenn sie selbst überleben wollte. Früher oder später würde Ezrael vielleicht verstehen, daß sie ihm keinerlei Offenbarung brachte, und dann könnte er sie sehr wohl als Verräter einordnen. »Was haben diese Verräter getan, daß sie den Tod verdienen?«
»Denn der Gott der Rache, der Herr, zahlt es ihnen heim.«
»Was?« fragte Ulrike. »Du verwendest die Worte der Liebe als Mittel des Zorns, nicht …« Sie sah ein Flackern in den Augen des Wahnsinnigen und verstummte. Es war sinnlos, mit einem Verrückten zu diskutieren. Angst durchfuhr sie, wie zum Teufel sollte sie hier herauskommen? »Warum hast du die Mitarbeiter von Future.com getötet?«
»Verstehst du das immer noch nicht? Ich habe sie nicht getötet.« Der lächelnde Ezrael sah aus wie der Lieblingsschüler eines Lehrers. »Die Bestie muß Rache an ihnen üben, weil sie Verräter waren, so hat es der Bote gesagt, und im Großen Buch steht, daß ›
der Herr dem nicht gnädig sein wird; sondern dann wird sein Zorn und Eifer rauchen über solchen Mann und werden sich auf ihn legen alle Flüche, die in diesem Buch geschrieben sind; und der Herr wird seinen Namen austilgen unter dem Himmel
‹.«
Ezrael trat vor sein Altargemälde und betrachtete den Engel auf dem Bild. »Hilft dir das alles nicht, deinen Auftrag zu verstehen?« Er zeigte auf den Riß in der Wange des Engels auf dem Fresko der Marienverkündigung, der wie eine Narbe aussah. »Du bist der Engel der Offenbarung, und du bist zu mir geschickt worden, genau wie der Bote, vielleicht hängt deine Ankunft mit dem Johannistag zusammen, der näher rückt«, sagte Ezrael zuversichtlich.
»Wer ist der Bote? Wer gibt dir Befehle?« fragte Ulrike, und über Ezraels Gesicht huschte ein Ausdruck der Verwirrung.
Seine Gedanken gerieten durcheinander, er war müde. »Niemand befiehlt mir etwas. Ich bin das Schwert des Allerhöchsten, der Engel des Zorns. ›
Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit
‹
…«
Ezrael erstarrte, er wußte nicht weiter … Fast spürte er den Schmerz in der Leistengegend, als er daran dachte, wie der Soldat ihn bestraft hatte, als er die Unabhängigkeitserklärung Irlands nicht auswendig konnte. Er stürzte zum Altartisch, griff nach dem in Leder gebundenen Großen Buch und blätterte fieberhaft darin, bis er auf einer der mit verschiedenfarbigen Klebezetteln markierten Seiten das Gesuchte fand,
»…
›
der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten
‹
.«
Er war so erschöpft, daß er sich nicht einmal an die wichtigsten Stellen erinnerte. In der Regel konnte er sie selbst im Schlafe aufsagen.
Er ging zum Kleiderschrank, kramte darin und betrat dann den Kirchensaal, eine zusammengelegte Stahlkette in der Hand. Der Engel der Offenbarung sagte nichts, als Ezrael ein Ende der Kette mit einem Vorhängeschloß am gußeisernen Heizkörper der Engelwand befestigte. Dann legte er die Kette um die Knöchel des Engels, und das so straff, daß der Engel aufschrie. Er ließ ein zweites Vorhängeschloß zuschnappen, beugte sich vor und hielt den Kopfganz nahe an die blonden Haare des Engels der Offenbarung. Der fruchtige Duft wirkte berauschend, und die Versuchung überkam ihn wie in der Shankill Road. Was würde die Bestie wohl dieser Frau Widerliches antun, wenn sich herausstellte, daß sie nur eine
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