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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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gewöhnliche Sünderin war? Er mußte sich unbedingt ausruhen, sonst …
    »Denk über alles nach, was ich erzählt habe. Du mußt dich erinnern und deinen Auftrag verstehen, deswegen hat man dich hierhergeschickt«, sagte Ezrael freundlich und gab dem Engel der Offenbarung eine dünne Matratze, ein schmutziges Kissen und das Große Buch. Dann holte er das Evangelium vom Altartisch, legte es auf das Fensterbrett, weit weg von der Frau, und verschwand im Schlafzimmer.
    Nach dem letzten Blick des Wahnsinnigen durchlief Ulrike ein Schauder, darin lag etwas anderes, vielleicht Gier oder Verlangen … Verdammte Fesseln, nun würde die Flucht nie gelingen. Sie spürte neben dem Gestank der feuchten Sachen ihren eigenen Geruch; das letzte Mal geduscht hatte sie vor über zwei Tagen. In der Stille schmerzte die Einsamkeit noch viel mehr, die Sehnsucht packte sie, als Lasses Gesicht vor ihr auftauchte. Sie vermißte seine Berührung so sehr, daß ihre Augen feucht wurden. Für einen flüchtigen Moment hatte Ulrike Lust, sich hinzulegen und auszuruhen, aber ihr wurde klar, daß sie das nicht tun durfte. Sie mußte dies alles überstehen und versuchen zu fliehen.
    Ulrike ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern und suchte es Millimeter für Millimeter ab. Irgend etwas mußte ihr einfallen. Eine Metallstange verriegelte die massive Wohnungstür, und dicke Holzläden verdeckten die Fenster. Die Kette ließ ihr nur etwa einen Meter Spielraum, und in Reichweite ihrer Hände war nichts anderes als die Matratze, das Kissen und die Bibel. Ein Telefon gab es nicht, und das wenige, das man von der Wand unter den Kerzen undGemälden sah, schien eine Art Paneel zu sein. Sie vermutete, daß Ezrael seine Zweizimmerwohnung schallisoliert hatte.
    Ulrike besaß zwei Möglichkeiten: Sie konnte entweder um Hilfe rufen oder den Heizkörper aus der Wand reißen. Die erste Alternative verwarf sie sofort. Also blieb nur der Heizkörper. Sie legte sich hin, um ihn zu untersuchen. So etwas wurde nicht mehr hergestellt, der mußte mindestens eine Tonne wiegen. Sie griff mit beiden Händen nach dem Heizkörper und zerrte daran, doch er rührte sich nicht. Dann riß sie vergeblich an dem Wasserleitungsrohr, das in die Wand führte. Es hatte keinen Sinn weiterzumachen. Ezrael würde den Lärm hören und Ulrike jenen Blick kein zweites Mal sehen. Einmal reichte.
    Sie spürte die Angst als metallischen Geschmack im Mund, das Gefühl war so stark, daß ihr fast schwarz vor Augen wurde. Irgend etwas mußte sie tun, oder sie würde geopfert wie ein Lamm, sobald die Furie in Ezrael erwachte. Da sie nun einmal nicht fliehen konnte, mußte sie versuchen, sein Denken zu beeinflussen. Da fiel ihr etwas ein: das Evangelium. Ezraels Aufzeichnungen könnten ihr helfen, den Mann zu verstehen, in ihnen fand sie möglicherweise eine Waffe gegen ihn oder einen Zugang zu seiner Welt.
    Ulrike erhob sich vorsichtig, hielt die Kette mit einer Hand und nahm mit der anderen die leichte Matratze. Sie versuchte damit das Fensterbrett zu erreichen, aber das Ende der Matratze war noch weit vom Evangelium entfernt. Ulrike hob die Matratze hoch und warf sie nach dem Evangelium, doch sie flog ein paar Zentimeter am Ziel vorbei. Sie mußte näher heran. Diesmal legte sie sich auf den Fußboden und kroch in Richtung Fensterbrett, bis die Kette straff gespannt war. Die Schulter schmerzte, und im Rücken zog es, als sie die Matratze erneut hochschwenkte.Die Ecke traf das Evangelium, das Buch fiel herunter, und Ulrike zog es mit der Matratze vorsichtig zu sich heran.
    Der alte blaue Stoffeinband des Buches war vom Gebrauch zerfasert. Auf der ersten Seite stand »Eamon O’Donnel«, geschrieben in mädchenhaft sauberer Handschrift mit kleinen, ordentlichen Buchstaben. Das blieb das einzige rührende Detail in Ezraels Evangelium. Ulrike wurde fast übel, als sie die Kindheitserinnerungen las, die Seite für Seite düsterer wurden: Ezraels vierköpfige Familie lebte kümmerlich vom Hafenarbeiterlohn des Vaters, der gewalttätige Mann mißhandelte seine Frau und seinen Sohn, zwang seine Kinder, bei der IRA mitzumachen, und bestrafte Ungehorsam, indem er sie in den Keller einsperrte. Als sie las, was der Vater seinen Kindern alles angetan hatte, schauderte sie.
    Nach den Eintragungen zu urteilen, war Ezrael ein empfindsames und intelligentes Kind gewesen. Ulrike erstarrte, als sie eine Seite aufschlug, auf die mit einer roten Flüssigkeit HASS geschrieben war. »Der Soldat hat meinen Finger

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