Finnisches Quartett
beendet ist.« Die Angst ließ ihre Stimme vibrieren.
Die Nachricht lähmte Ezrael. Das hatte er nicht erwartet. Zugleich erhielt der Anruf des Boten eine neue Bedeutung für ihn; er bekam jetzt schon den zweiten Befehl, die Ausführung des Auftrags zu unterbrechen. Das konnte nicht sein, den Auftrag hatte ihm der Allerhöchste erteilt.
»Du hast deine Offenbarung falsch verstanden, den Auftrag kann man nicht zurücknehmen«, sagte Ezrael mit zitternder Stimme. »Man hat mich AUSERWÄHLT, ihn zu erfüllen und: ›
Ich habe dir, Gott, gelobt, daß ich dir danken will.
‹«
»Hör zu, Eamon, ich weiß alles. Der Bote hat dir deinen Auftrag überbracht, und jetzt überbringe ich dir die Botschaft, daß der Auftrag beendet ist, mit diesen Worten:
Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben:
›
Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.
‹« Ulrike hoffte, daß sie sich richtig an die Bibelstelle erinnerte, die sie sich in der Nacht eingeprägt hatte.
Es überraschte Ulrike, wie erschüttert Ezrael war, er sank zu Boden und hockte mit gesenktem Kopf da wie ein alter Mann. Oder eher wie ein Kind, das nach irgendeiner Missetat in der Ecke stehen und sich schämen mußte. Ulrike wurde klar, daß sie auf dem richtigen Weg war: Ezrael hörte zu, wenn man ihm Befehle in seiner eigenen Sprache erteilte, und wenn man über die Vergangenheit redete, wurde Ezraels Welt erschüttert.
Ulrike ging zum Angriff über. Sie berührte Ezraels vierfingrige Hand. »Sechsundsechzigeinhalb Penny, Eamon. Ich weiß auch das«, sagte Ulrike sanft und zählte dann grauenhafte Einzelheiten aus Ezraels Kindheit auf. »Das Mädchenin der Shankill Road war dein einziger großer Fehler, bevor …«
Ezraels Gesicht erstarrte und wurde bleich. Die Offenbarung des Engels mußte echt sein, wie hätte sie sonst von den Geschehnissen in der Welt des Bösen wissen können.
Als der Engel der Offenbarung das Kellerloch erwähnte, sprang Ezrael auf, preßte die Hände auf die Ohren und brüllte. Er raste mit solcher Wut durch die Wohnung, daß die Kerzenflammen flackerten. Die alten Bilder stürzten über ihn herein: die Metallnieten des Lederriemens, das Blut an der Tür des Kellerlochs, die gelben Dämonen, die im Dunkeln lauerten, und jener Tag, als der Soldat ihm zur Strafe vorführte, wie er einen Feind zum Reden brachte. Der Engel des Zorns Ezrael wollte nicht dahin zurückkehren, wo Eamon begraben war.
Die Kirchenglocken von Oude Kerk dröhnten dumpf und zeigten die volle Stunde an, und Ulrike fürchtete, daß sie zu weit gegangen war. Sie durfte Ezraels Welt nicht zerstören, sie war vermutlich der Käfig, der die Bestie im Zaum hielt.
26
Im Videotext des Fernsehers im Kaffeeraum erschienen die Trabsportseiten; Ketonen juchzte, als er sah, daß die Stute mit dem Namen »Flucht vor dem Schlächter« morgen auf der Trabrennbahn Metsämäki am Start sein würde. Sie kehrte nach einer Pause auf die Bahn zurück und würde todsicher eine hohe Quote bringen, außerdem wußte Ketonen, daß sie ihre zwei Trainingsläufe sicher und mit einer guten Plazierung absolviert hatte. Er schlürfte den kalten Kaffee aus seinem Holzbecher, als die Fahrstuhltür aufging und Ratamo an ihm vorbeisauste. »Arto!«
Ratamo blieb stehen, als er Ketonens erhobenen Finger sah, und setzte sich an den großen Tisch.
Ketonen wirkte verlegen. »Ich habe eben … erfahren, daß wir Lasse Nordman nach Holland lassen müssen, damit er seine Freundin suchen kann, seine Reisepläne dürfen nicht durch Verhöre oder unter einem anderen Vorwand behindert werden. Und ich muß auch noch jemanden mitschicken.«
»Warum denn das? Ich meine, warum muß Nordman geschützt werden?« erkundigte sich Ratamo verwundert.
»Weil es der Leiter der Abteilung Polizei im Ministerium, Kesämäki, befohlen hat«, sagte Ketonen scherzhaft voller Pathos. »Nordmans Mutter nutzt ihren Einfluß als Ministerin geschickt, sie hat den Innenminister überredet, ihr zu versprechen, daß für Lasse Nordmans Sicherheit gesorgt wird, und der Innenminister hat Kesämäki angewiesen, den entsprechenden Befehl zu geben.«
Ratamo sah, daß sich Ketonen über diese Anordnung ärgerte, die sich die Politiker ausgedacht und dann durchgedrückt hatten; er versuchte rasch etwas Positives zu sagen. »Die Verteidigungsministerin hat guten Grund, sich Sorgen um die Sicherheit ihres Sohnes zu machen. Jorge Oliveira wurde umgebracht, Ulrike
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