Finnisches Requiem
wurde, daß der Passat im Tunnel stehengeblieben war, würde sie Verbindung zu einem Streifenwagen aufnehmen. Die Polizei wüßte jedoch nicht, was für ein Auto er gleich fahren würde. Dennoch hatte er wenig Zeit, vielleicht eine Minute oder zwei.
Der Verkehr floß nun viel ruhiger, sicher hatte gerade die Ampel am Tunneleingang gewechselt. Er stieß die Tür auf und rannte zu dem Toyota.
Die Fahrerin stand neben ihrem Auto und hielt die Hände vors Gesicht. Schockiert betrachtete sie ihren verbeulten Wagen und mußte nun auch noch völlig verblüfft mit ansehen, wie ein attraktiver dunkelhaariger Mann in ihr Auto stieg.
Jugović fuhr ein Stück zurück, stellte den Toyota quer zur Fahrtrichtung und wartete, bis er eine Lücke in der Autoschlange entdeckte. Dann beschleunigte er in die gleiche Richtung, aus der er gekommen war, und fluchte, als er sofort nach dem Ende des Tunnels an einer Ampel halten mußte. Sein Puls hämmerte.
Er suchte im Rückspiegel den Hubschrauber. Der flog im Zick-Zack hoch über dem Tunnel. Jugović vermutete, daß die Besatzung schon einen Streifenwagen alarmiert hatte. Die Dänen hätten ihm doch mit einem Auto folgen sollen. Ein alter Autodieb kannte eben jeden Trick, der zur Täuschung der Polizei erfunden worden war. Schließlich hatte er den besten Lehrer gehabt – Arkan.
Die Ampel wechselte auf Grün, und Jugović trat so heftig aufs Gaspedal, daß der kleine Motor aufheulte. Wenig später sah er rechts das M-Zeichen, er parkte den Toyota auf einem für Behinderte reservierten Platz und rannte zur Metrostation.
Es war höchste Zeit, in die Rolle von Claudio Crespo zu schlüpfen.
SAMSTAG
45
Jussi Ketonens Handy klingelte pausenlos, Riitta Kuurma nahm die Gespräche entgegen und kritzelte jede Bitte um einen Rückruf auf einen gelben Zettel. Der Stapel war schon einen Zentimeter dick. Ihre Nerven waren auf das äußerste gespannt: Der Arbeitsumfang der Ermittlungsgruppe schwoll immer mehr an, und Wrede war keine große Hilfe. Der Schotte machte sich Sorgen um seine Zukunft; der Mann konnte einem fast leid tun. Obendrein hatte Riitta wieder schlecht geschlafen und litt unter Kopfschmerzen. Sie konnte Hannele Taskinen nicht vergessen. Und sie hatte Angst um Arto. Der Auftraggeber der Morde an den Kommissaren ging von Tag zu Tag erbarmungsloser vor. Effektiv und brutal beseitigte er alles, was ihm im Wege stand: Taskinen, Seppälä … wer würde das nächste Opfer sein?
»Jeder zweite Anrufer fragt, warum du nicht in der Koordinierungsgruppe bist, und die anderen wollen ein Interview«, sagte Kuurma zum Chef.
Ketonen hatte die Koordinierungsgruppe im Ständehaus ihrem Schicksal überlassen, als am vorhergehenden Abend die Mitteilung von Tamás Demeter gekommen war, Zoran Jugović sei nach Malmö geflogen. Eben hatte Ketonen erfahren, daß Attila Horvát auf dem Weg nach Dänemark war. Vermutlich würde er sich von den Politikern und der Polizeiführung ein Donnerwetter anhören müssen, weil er die Koordinierungsgruppe verlassen hatte. Immerhin war deren Bildung auf der Ebene der Ministerpräsidenten vereinbart worden. Aber er hatte einfach keine Zeit, über die großeLinie zu schwätzen und in Besprechungen und Pressekonferenzen herumzusitzen. Die Koordinierungsgruppe tat nichts, was bei den Ermittlungen zu den Morden weitergeholfen hätte. Außerdem wollte er nicht, daß die Ermittlungsgruppe von Wrede geführt wurde. Und was hatte er denn noch zu verlieren, er plante doch ohnehin schon seine Pensionierung.
Wrede saß auf dem Gästestuhl in Ketonens Zimmer und versuchte Mustis starrem Blick auszuweichen. Der Schotte mied Hunde, seine beiden Kinder litten unter einer Hundeallergie, und er mußte jedesmal alle seine Sachen waschen, wenn er mit Kötern zu tun hatte. Das war jedoch seine geringste Sorge. Noch vor ein paar Tagen war er der sichere Nachfolger von Ketonen und der verantwortliche Leiter der Ermittlungsgruppe gewesen. Jetzt fürchtete er sich vor Ketonens Strafe für seine Intrige und verfolgte aus der Ferne, wie der Chef das Orchester dirigierte und Riitta Kuurma ihm assistierte. Er wußte, daß er größeren Mist gebaut hatte als je zuvor. Und er bereute es.
Ketonen hatte genug vom Mönchslatein und legte Hannele Taskinens Obduktionsbefund beiseite. Er beschloß, die Zusammenfassung des Pathologen zu lesen, da würde er wenigstens etwas verstehen. Es stellte sich heraus, daß eine Überdosis eines Medikaments namens Sparine, das zu den Psychopharmaka gehörte
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