Finnisches Requiem
Besprechungen zuhören läßt, dann rufst du mich an.« Ketonen versprach, Else Rørbye eine E-Mail mit deutlichen Worten zu schicken.
»Vergiß nicht, wo du herkommst«, sagte Ketonen und beendete das Gespräch. Plötzlich wurde ihm klar, warum Musti so unruhig um seine Beine herumschwänzelte. Er hatte vergessen, das Fräulein zu füttern. Die Symptome der Demenz wurden immer stärker. Früher war er scharfsinnig, jung und schön gewesen. Jetzt war er nur noch und.
Ketonen öffnete das unterste Schubfach seines Schreibtisches und hielt einen Beutel Hundefutter hoch. Musti freute sich wie eine Maus in der Käserei.
Ratamo überlegte einen Augenblick, ob er Nelli anrufen sollte, aber dann fiel ihm ein, daß Marketta mit dem Mädchen in ihre Sommerhütte nach Nummi-Pusula gefahren war. Das Boot und der Bootssteg mußten an Land gebracht und aufgebockt werden. Ob wohl Markettas geheimnisvoller Freund an diesem freiwilligen Arbeitseinsatz teilnahm? Er beschloß, Nelli abends danach zu fragen. Mit Riitta konnte er auch später reden, und Seija wollte er nicht anrufen, weil er nicht wußte, was er sagen sollte, wenn Himoaalto immer noch nicht zu Haus aufgetaucht war.
Abends hatte er noch eine Runde durch die gemütlichen Lokale am Strömet gedreht und vier Bier getrunken. Diesmal war er jedoch willensstark genug gewesen und konnte verhindern, daß daraus eine nächtliche Kneipentour wurde. Der Geschmack im Mund erinnerte an Morast aus der Kreidezeit,aber die Lust auf Kautabak forderte ihren Tribut. In der Dose blieb nur ein Priem übrig. Ob er es wagen sollte, jemanden vom PET zu fragen, wo man in Kopenhagen Kautabak bekam?
Waren denn Demeter und Simmons schon im Hause? Er hatte Lust, Demeter anzurufen, aber er vertraute dem Ungarn nicht hundertprozentig und fürchtete, daß man ihm das anmerkte. Müßte er Rørbye andeuten, welchen Verdacht er hegte? Er beschloß, noch abzuwarten. Aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwer, zu glauben, daß Demeter ein bestochener Polizist war.
Überrascht sah er vor seinem geistigen Auge plötzlich die Bücher zur Organisations- und Wirtschaftskriminalität auftauchen, die auf seinem Nachttisch im Hotel lagen. Er fluchte vor sich hin: Wenn er sie mit in den PET genommen hätte, könnte er für die Prüfung pauken, solange er auf Rørbye wartete.
Ketonens Befehl klang ihm noch in den Ohren. Der Chef hatte recht. Er war in jedem Falle berechtigt, an den Besprechungen des PET teilzunehmen. Einer der Mörder war ein Finne, und die Ermittlungen zu den Morden wurden von Finnland aus koordiniert. Jetzt mußte er sich auf die Arbeit konzentrieren und Verantwortung übernehmen. Heute würden sich viele Dinge klären. Wenn Horvát eintraf, befanden sich alle Verdächtigen in Kopenhagen. Zumindest alle, die sie schon kannten.
46
Pastor starrte auf das häßliche und massive Gebäude des Hotels Imperial in der Vester Farimagsgade. Heute regnete es in Kopenhagen nicht, dennoch war es ein düsterer Morgen, die dunkle Wolkendecke schien lückenlos. Irgendwo da drin in dem Klotz aus Beton und Glas wohnte Zoran Jugović,der Mann, der Drina und Hannele hatte ermorden lassen. Bald würde der Serbe dafür leiden.
Seit der Zerstörung seines Lebens waren schon etwa zehn Jahre vergangen. Im Laufe der Zeit hatte Pastor gelernt, seinen Haß zu kontrollieren und ihn schließlich für seine Zwecke einzuspannen. So wurde er seine Stärke. Der Treibstoff für seine Rache. Er brauchte nicht lange, um die traurigen Nachrichten zu begreifen, zu verdauen und zu akzeptieren. Den Tod Drinas und Hanneles mußte man als Teil eines größeren Ganzen ansehen. Als Teil seines Schicksals, das ihn zu wichtigen Taten führte.
Er konnte seine Trauer jedoch nicht völlig unterdrücken: Auch er war nur ein Mensch. In gewisser Weise trug er Schuld an der Ermordung Drinas und Hanneles, denn er hatte in den Telefongesprächen mit Hannele zu viel ausgeplaudert. In der letzten Nacht hätte er ohne Beruhigungstabletten kein Auge zugetan. Heute mußte er in Topform sein, gleich würde sich herausstellen, welches Motiv Jugović wirklich hatte. Und warum er Drina und Hannele umbringen ließ.
Pastor war bereit. Er empfand Trauer, aber sein Verstand war klar. Auch seine letzte Verbindung zur Gesellschaft hatte man gestern unterbrochen. Jetzt widmete er sich einzig und allein seiner Aufgabe. Er brauchte an niemanden und an nichts anderes mehr zu denken, er war eins mit seiner Aufgabe. Diesen Tag würde man im Gedächtnis
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