Finnisches Requiem
Exekutionskommando durften ihm dabei helfen. Mit einem Filzstift schrieb er auf sein Handgelenk: »Claudio Crespo«.
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Im nachmittäglichen Berufsverkehr dauerte die Fahrt mit dem Taxi vom Flughafen Kastrup in die Stadt lange. Das Wetter glich dem in Helsinki, aber Ratamo fand, daß Kopenhagen sogar im Nieselregen einen angenehmen Eindruck machte. Diesmal hatte er sich beim Fliegen nicht am Calvados festgehalten, obwohl der Flug außergewöhnlich unruhig war. Die Arbeit wartete schon auf ihn. Er befand sich auf dem Weg zum Sicherheitsdienst der dänischen Polizei, zum Politiets Efterretningstjeneste. Das Hauptquartier des PET lag in Bellahøj, vier Kilometer nordwestlich vom Stadtzentrum Kopenhagens. Der PET war in Dänemark für die Überwachung der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und der extremistischen Organisationen zuständig.
Ratamo hatte eben vom Flughafen aus zu Hause angerufen. Nelli war gerade aus der Schule gekommen und hatte keine Zeit, lange mit ihm zu reden, sie kochte mit Marketta zusammen Kartoffelbrei. Er hatte Nelli wieder in die Küchegehen lassen, obgleich ihn die Sehnsucht quälte. Nelli wußte, daß ihr Vater Polizist war, aber von den Gefahren, die ihm bei seiner Arbeit drohten, hatte sie keine Ahnung. Er überlegte, wann er ihr davon erzählen müßte. Oder sollte er sich darum bemühen, bevor es soweit war, die Arbeit vor Ort aufzugeben und an den Schreibtisch zu wechseln? Wohl kaum, sein Kontingent an Büroarbeit hatte er schon in seiner Zeit als Wissenschaftler übererfüllt.
Marketta wirkte kurz angebunden und tat geheimnisvoll. Er vermutete, daß die Ex-Schwiegermutter am Abend ein Rendezvous hatte, er wollte sie aber nicht damit aufziehen. Riitta hatte er auch angerufen und sichergestellt, daß sie nach Hause kam, bevor Marketta gehen mußte. Alles schien in bester Ordnung zu sein, außer dem Familienleben der Aaltos. Seija hatte Riitta erzählt, daß Himoaalto schon den vierten Tag verschwunden war. Das bedrückte Ratamo, aber er konnte nichts tun. Von Kopenhagen aus würde er Himoaalto nicht finden. Und eigentlich ging ihn die Sache ja überhaupt nichts an. Es sei denn, seine Moralpredigt am Telefon war die Ursache für Timos Verschwinden.
Das Taxi fuhr an dem großen Gelände des Tivoli vorbei, und Ratamo sah auf der linken Seite kurz das Dach einer chinesischen Pagode. Dann tauchte rechts ein großer Park auf, bevor das Auto wieder eine Meeresbucht überquerte. Auf allen Seiten schien Wasser zu sein. Er erkannte einige markante Gebäude Kopenhagens wieder. In seiner Studienzeit hatte er hier ein paar Tage Urlaub gemacht. Aus irgendeinem Grunde erinnerte er sich nur dunkel an diese Interrail-Reise. Allerdings wußte er noch, daß Lapa Väisälä irgendwo eine Frau aus Grönland aufgerissen hatte und abgetaucht war. Erst in Nizza stieß er dann wieder zu ihrer Gruppe.
Vor dem Haupteingang der Schaltzentrale des PET, eines L-förmigen und dreistöckigen braunen Gebäudes, bezahlteRatamo das Taxi. Er sagte dem Wachposten im Foyer, er habe ein Treffen mit Else Rørbye, dann setzte er sich hin und wartete. Es wunderte ihn nicht, daß der für die Polizeioperationen verantwortliche Chefkriminalinspektor des PET eine Frau war. Er hatte Dänemark immer für das fortschrittlichste und liberalste nordische Land gehalten, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Er holte den Priem, der seinen Geschmack verloren hatte, unter der Oberlippe hervor und bemerkte, daß die Wache im Foyer ihn anstarrte. Die Wahrscheinlichkeit, daß dir jemand zuschaut, wächst direkt proportional zur Dummheit dessen, was du tust, dachte er.
Ein paar Minuten später eilte eine großgewachsene Frau mit kurzen Haaren im Laufschritt herbei. Else Rørbye, die es eilig zu haben schien, interessierte sich als erstes für seinen blauen Fleck. Ratamo gab ihr eine Kurzfassung der Ereignisse in Budapest und war überrascht, als Rørbye sagte, sie habe eine etwas andere Version der Vorkommnisse gelesen. Er überlegte, ob sie die vom NBH oder von der Koordinierungsgruppe bekommen hatte. Auf jeden Fall schien Rørbye außerordentlich gut über den Stand der Ermittlungen zu den Morden an den Kommissaren informiert zu sein.
Sie führte Ratamo durch die Sicherheitstüren in einen langen Gang. Ihm fiel auf, daß die Atmosphäre im PET eindeutig lockerer war als bei der SUPO. Man hörte nicht gerade leise Musik, und die meisten dänischen Polizisten waren genauso nachlässig gekleidet wie er.
Rørbye
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