Finnisches Requiem
Inderhavne war so wunderbar, daß es einem den Atem verschlug. Dann sah er, wie einer der beiden Männer seinen und Stangerups Dienstausweis einer Frau gab. Vor Überraschung blieb ihm der Mund offenstehen. Es war Carol Simmons.
52
In dem unmöblierten Raum einer Zweizimmerwohnung in der Strandgade war es dunkel. Die Fenster standen offen, aber die Gardinen waren zugezogen. Ljubo, der Chef des Exekutionskommandos, wartete auf ein Zeichen aus dem Sprechfunkgerät genau wie seine zwei Vertrauten. Jovan fingerte in der Küche an seinem Sturmgewehr herum, und Vuk lag auf dem blanken Parkettfußboden, er litt unter einem heftigen Kater. Die Entfernung von der Wohnung bis zur Knippelsbro-Brücke betrug etwa dreihundert Meter. Das Fernrohr zwischen den Gardinen war auf die Stelle gerichtet, wo die Brücke auf Slotsholmen endete. Ljubo starrte unaufhörlich dorthin, obwohl die Gruppe, die sie unterstützte, sofort mitteilen würde, wenn der Kommissionspräsident losfuhr. Auf der Christianshavner Seite der Brücke parkte ein Polizeiauto, und zwei andere Streifenwagen patrouillierten in der Strandgade. Die Brücke war mit Schlagbäumen für den Verkehr gesperrt.
Die Panzerabwehrrakete des Typs Javelin lag auf dem Fußboden des Zimmers und wartete auf ihren großen Auftritt. Das selbstlenkende Geschoß des etwa zwanzig Kilo schweren Panzerschrecks hatte eine Tragweite von zweieinhalb Kilometern, und die Rakete verfügte über einen »Softlaunch«-Zündmechanismus. Die Rakete konnte also aus einem Gebäude abgeschossen werden, und durch das Geräusch beim Abschuß platzten einem die Trommelfelle nicht. Dank ihrer Infrarot-Zielvorrichtung war die Javelin unter allen Verhältnissen einsetzbar. Aus dieser Entfernung lag ihre Treffsicherheit bei einhundert Prozent. Das Ziel wurde vor dem Abfeuern in den Computer der Rakete eingegeben. Sie konnte den Stahl aller bekannten Panzer durchschlagen. Und heute war ihr Ziel nur ein Auto.
Die Javelin hatten sie in der Phase der Vorbereitung aufdie Morde an den Kommissaren in Würzburg einem verschuldeten Leutnant der Ersten Infanteriedivision der US-Truppen in Europa abgekauft. Wenn alles gut lief, war der Panzerschreck die einzige Waffe, die sie heute einsetzten. Und auch die nur einmal.
Den verrückten Finnen waren sie endlich los. Ljubo verstand immer noch nicht, warum Drina den Amateur in das Exekutionskommando aufgenommen hatte. Pastors Haltung war fanatisch; ein Berufskiller mußte aber gefühllos sein wie eine Maschine. Ljubo wußte nicht, was Pastor vorhatte und worauf er sich den ganzen Vormittag so sorgfältig und mit derart komplizierten Mitteln vorbereitet hatte. Aber er dankte seinem Schöpfer, daß er nicht dabei war, wenn Pastor seinen Plan ausführte. Er hatte sich bereiterklärt, dem Finnen zu helfen, denn er wollte sichergehen, daß der die Ausführung des vierten Mordes nicht störte. Pastor hatte ihm hoch und heilig versichert, er werde die Aufgabe des Exekutionskommandos in keiner Weise erschweren.
Ljubo war überzeugt, daß diesmal alles genau nach Drehbuch ablaufen würde. Das vierte Attentat hatten sie am sorgfältigsten geplant und vorbereitet. Die Wohnung war vor einem Monat über einen dänischen Mittelsmann gemietet worden, nachdem Drina den Reiseplan und das Besuchsprogramm des Kommissionspräsidenten bestätigt hatte. Die Lage der Wohnung war perfekt: Die dänischen Behörden brachten ihre Staatsgäste fast ausnahmslos von Slotsholmen über die Knippelsbro-Brücke zum Flughafen Kastrup. Das Exekutionskommando war allerdings auch auf den Fall eingestellt, daß die Route heute ausnahmsweise über die Langebro-Brücke führte.
Drinas Hinrichtung beschäftigte Ljubo immer noch. Auf das Vorhaben des Exekutionskommandos wirkte sie sich jedoch nicht aus, denn Drina hatte ihm vor seinem Todebestätigt, daß der vierte Mord planmäßig ausgeführt werden solle. Daß sein Tod nichts an ihrem Plan änderte, war nur logisch: Schließlich handelte es sich um eine Operation von »Krešatik« und nicht um Drinas Privataktion. Pastor hatte am Vormittag erzählt, daß Zoran Jugović das Geld heute auf die Konten der Mitglieder des Exekutionskommandos überweisen würde. Ihm vertraute Ljubo. Jugović war schließlich ein Serbe.
Ljubo rieb sich die Glatze, er hatte allmählich die Nase voll von der Warterei. Zum Glück würde das die letzte der Hinrichtungen sein. Jovans Nervenkostüm zeigte schon Verfallserscheinungen, er hatte als zweiter Mann im Atheneum zugeschlagen,
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