Finnisches Requiem
Mittagessen schien sich zu verzögern. Als Frau van den Brink endlich in der Küche erschien, war es schon um eins. Das Exekutionskommando mußte mit dem Fernglas in der Hand fast noch eine halbe Stunde warten, ehe die drei Personen endlich im Speisezimmer saßen. Zum Glück aß der SISD-Beamte mit dem Ehepaar zusammen.
Radmilo und Pastor zogen sich die schwarzen Masken über und verschwanden hinter dem Haus. Erst mußte der Polizist erledigt werden, der im Garten auf und ab ging. Sie waren gezwungen, ihn umzubringen, ein Betäubungspfeil wirkte so langsam, daß der Mann Zeit gehabt hätte, Alarm auszulösen. Und sie mußten möglichst nahe an ihn herankommen. Sie wagten nicht, das Laservisier zu benutzen. Der Polizist könnte den roten Fleck sehen und noch die Wache alarmieren. Außerdem war es unsicher, ob ein Schuß auf den Kopf eines beweglichen Ziels aus großer Entfernung auch traf.
Sie hockten sich hinter eine buschige Pappel etwa zwanzig Meter von dem Polizisten entfernt. Pastor holte aus seinemRucksack eine Armbrust, eine Excalibur Exomag, und spannte sie. Die kugelsicheren Polizeiwesten wurden mit Kevlarfasern verstärkt, die waren um ein Vielfaches härter als Stahldraht und hielten die Kugeln auf. Nicht einmal teflonbeschichtete Kugeln konnten die neuesten Westenmodelle durchdringen. Bei dem scharfen Armbrustpfeil war die Zone des Aufschlags jedoch viel kleiner als bei einer Kugel, so daß der Pfeil das Kevlar durchschlug. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Carbonfaserpfeils betrug einhundert Stundenkilometer, und seine Spitze war scharf wie ein Skalpell.
Pastor stellte die Stoppuhr seiner Armbanduhr ein. Von der Carabinieri-Station bis hierher waren es zwei Kilometer, zur Villa des Kommissars gelangte man am schnellsten zu Fuß. Im Villenviertel von Capri gab es nur wenige Straßen, auf denen Autos fahren konnten. Wer die Strecke bergauf rannte, brauchte mindestens sieben Minuten, Pastor hatte es zweimal getestet. So viel Zeit hatten sie, höchstens.
Sorgfältig richtete Pastor das Kreuz des Zielfernrohrs auf das Herz des Polizisten. Er konnte mit jeder beliebigen Waffe schießen: Armbrust, Pistole, Elchgewehr und Jagdflinte gehorchten denselben Prinzipien. Dessenungeachtet hatte er im Spätsommer Dutzende Stunden mit der Armbrust geübt.
Man hörte ein Rauschen und dann ein dumpfes Geräusch, als der Polizist umfiel. Seine erschlaffte Hand lag ein paar Zentimeter neben der Taste des Funksprechgeräts.
Radmilo lief schnell zu ihm hin und prüfte, ob er noch atmete. Dann gab er dem glatzköpfigen Ljubo ein Zeichen, der darauf zur vorderen Tür ging. Es würde ihm keine Probleme bereiten, den Carabiniere zu betäuben, er kam leicht nahe genug an den Italiener heran, der vor dem Haus Wache hielt. Als eine Minute vergangen war, holte Pastor aus seinem Rucksack eine 9mm-SIG-Sauer-Pistole.
Sie mußten die hintere Tür so schnell wie möglich öffnen.Radmilo hielt eine Schrotflinte der Marke Franchi SPAS auf die Tür und schoß zwei mit Bleipulver gefüllte Magnum-Patronen auf das Schloß.
Der dumpfe Knall verschloß für einen Augenblick ihre Ohren. Sie öffneten den Mund wie Fische. Zu ihrem Erstaunen zerfiel das Schloß der massiven Eichentür nicht. Radmilo fluchte und lud nach, die Küchengardine wackelte, jetzt war Eile geboten.
Die zweite Ladung erfüllte ihren Zweck. Radmilo riß die Tür auf und stürzte in das Speisezimmer, Pastor folgte ihm auf den Fersen. Es war niemand zu sehen, auf den Goldrandtellern dampfte das Mittagessen. Pastor neigte den Kopf und hörte, wie Radmilo die vordere Tür öffnete. Der maskierte Ljubo zog den bewußtlosen Carabiniere an den Armen herein. Zwei Minuten waren vergangen.
Ljubo bedeutete Radmilo mit einem Handzeichen, daß er das Obergeschoß durchsuchen würde. Der Glatzkopf rannte die Treppe hinauf, und kurz danach ertönte oben das Kreischen einer Frau.
Pastor hörte jemanden leise reden. Er hielt seine Pistole im Anschlag, schlich durch das Speisezimmer in die Bibliothek und schaute in den Lauf der Waffe des SISD-Beamten. Der Italiener hatte ein Telefon in seiner anderen Hand. Beide starrten auf die Waffe ihres Gegenübers, dann trat Radmilo neben Pastor, und der Mann vom SISD begriff, daß er nicht beide Angreifer ausschalten konnte. Anscheinend taugte der Italiener nicht zum Helden.
Radmilo streckte seine Hand aus, und der SISD-Beamte gab ihm seine Waffe. Pastor riß dem Italiener das Handy aus der Hand, unterbrach das Gespräch und stieß den Mann in
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