Finnisches Requiem
einen Ledersessel. »Für jedes Wort, das du sagst, verpaß ich dir eine Kugel«, zischte er auf englisch. Der Italiener hatte Hilfe angefordert. Ihnen blieben noch vier Minuten.
Radmilo ging durch die Bibliothek zum Arbeitszimmer.Zwischen Tür und Rahmen war ein heller Lichtspalt zu sehen, obgleich der Raum auf der Schattenseite lag. Hans van den Brink mußte sich in dem Zimmer verstecken, Ljubo hätte Bescheid gegeben, wenn der Kommissar im Obergeschoß wäre.
Langsam schob Radmilo die Tür auf und starrte auf einen Pistolenlauf. Pastor hörte einen Schuß. Radmilos Waffe hatte einen Schalldämpfer. Er rannte zur Bibliothek und sah Radmilo am Boden liegen. Der Serbe fluchte und hielt sich die Schulter. Pastor preßte sich an den Türrahmen, so daß der Kommissar ihn nicht sehen konnte.
»Was zum Teufel tun Sie hier?« fragte van den Brink voller Angst. Er hockte hinter dem massiven Schreibtisch, die Waffe zitterte in seiner Hand.
»Wir schreiben Geschichte«, antwortete Pastor und stürzte sich auf den Kommissar. Da zerriß ein Schuß die Luft.
Pastor wurde am Oberschenkel getroffen, er spürte einen schneidenden Schmerz, warmes Blut rann über die Haut. Seine Pistole hatte er fallen gelassen. Wenn er stehenblieb, würde er sterben. Er stürmte weiter, der Schmerz verlieh ihm die Kraft dazu.
Van den Brink schoß noch einmal, an der Wand wurde Steinstaub aufgewirbelt, und Pastor warf sich auf den Holländer. Der um sein Leben kämpfende Kommissar riß ihm die Maske vom Kopf. Pastor packte die Arme des Mannes und versuchte aufzustehen.
Im selben Augenblick war ein gedämpftes Zischen zu hören, und auf van den Brinks Stirn erschien ein dunkler Punkt. Unter dem Kopf des Kommissars strömte Blut auf den Fußboden, seine Haare verfärbten sich. Radmilo schoß noch einmal, fluchte und preßte eine Hand auf seine Wunde. Zwischen den Fingern sprudelte Blut hervor. Es waren schon vier Minuten vergangen, drei Minuten blieben ihnen noch.
»Los jetzt, Tempo.« Ljubo stieß den Mitarbeiter des SISDauf den Fußboden des Arbeitszimmers, bevor Pastor begreifen konnte, was geschah.
Pastor schaute dem SISD-Beamten in die Augen und fluchte: Der Mann sah sein Gesicht. Der Beamte beobachtete die Situation und blickte abwechselnd auf die Wanduhr und die Mörder. Pastor überlegte fieberhaft, er müßte den Italiener erschießen, der konnte ihn beschreiben und identifizieren. Aber sie hatten klare Anweisungen, zusätzliche Opfer sollten unbedingt vermieden werden.
Ein Schuß zischte, Blut spritzte, und der italienische Beamte starb. Ljubo hatte ihm die Entscheidung abgenommen.
Rasch holte Pastor das Verbandsmaterial aus seinem Rucksack. Er legte Mull auf Radmilos Wunde, wickelte eine Ideal-Binde um die Schulter und befestigte darüber eine Binde zum Abschnüren. Dann schob er seine Hosen bis zu den Knien und betrachtete die blutende Wunde im Oberschenkel. Blut quoll heraus, aber die Wunde war nicht tief. Ljubo half ihm, einen Verband anzulegen. Schon sechs Minuten waren vergangen.
Sie brauchten gar nicht erst versuchen, ihre Blutspuren zu beseitigen, denn die waren überall. Die Carabinieri konnten jeden Augenblick eintreffen.
Bis zum Boot im Hafen von Tragara waren es ein paar hundert Meter. Würden sie es vor den Carabinieri schaffen? Was für Schnellboote hatte die Polizei? Wie zum Teufel sollte es ihnen gelingen, drüben am Festland anzulegen?
Die drei rannten durch die vordere Tür auf den schmalen gepflasterten Weg, Pastor vorneweg. Als er die vor Überraschung weit aufgerissenen Augen eines Joggers sah, wurde ihm schlagartig klar, daß er nicht maskiert war. Der junge Mann sprintete los, und Pastor zog seine Waffe. Er schoß, traf aber nicht, und dann war der Mann schon in das Gebüsch am Wegesrand gesprungen und verschwunden. Ljubo fluchte.
Sieben Minuten waren vergangen, sie hatten keine Zeit, den jungen Mann zu verfolgen. Pastor lief ein kalter Schauer über den Rücken. Heute ging alles schief.
Es war dreizehn Uhr neununddreißig am Mittwoch, dem 25. September.
25
Ketonen rief seinem Fahrer zu, er werde ihm telefonisch Bescheid geben, wenn die Sitzung der Koordinierungsgruppe zu Ende sei. Auf der Snellmaninkatu lauerte ein ganzer Schwarm von Journalisten und Kamerateams. Ketonen bahnte sich einen Weg durch das Trommelfeuer von Fragen, stieg die Außentreppe des Ständehauses hinauf und drückte auf den Klingelknopf am Haupteingang. Die Tür öffnete sich so schnell und weit, daß er zusammenfuhr. Er
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