Finnisches Requiem
aufmerksam gemacht. Der ungarischen Polizei wurden Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Ungarn glaubten, mit den Kampagnen versuche man den Beitritt ihres Landes zu verhindern.
Ketonen hörte nur mit einem halben Ohr hin. Er legte den Kopf in den Nacken und bewunderte die Ornamente an den Wänden und an der Decke. Er kannte das schon alles, was Pichette erzählte.
»Wir wissen, daß jemand versucht, den Beitritt Ungarns zu verhindern«, sagte Pichette mit Nachdruck und erzählte von Dokumenten, die man der Kommission im Juli zugespielt hatte. Darin wurde ein düsteres Bild von der Lage in Ungarn gemalt. Demnach befand sich die ungarische Wirtschaft im Würgegriff krimineller Organisationen, und die ungarischen Politiker und Behörden waren korrupt. Pichette verlangte, daß keine Informationen über die Dokumente aus diesem Raum nach außen drangen. Die Kommission wollte die Angelegenheit geheimhalten, bis geklärt war, ob die Behauptungen zutrafen. Die Dokumente müßten nicht unbedingt mit den Morden an den Kommissaren zusammenhängen, sagte Pichette, aber man dürfe nicht vergessen, daß die EU-Gegner zu immer rücksichtsloseren Methoden griffen, je mehr Fortschritte bei den Verhandlungen über die neuen Mitgliedsverträge erzielt würden. Die Kommission erwarte in diesen Tagen Berichte über die Situation in Ungarn.
Ketonens Interesse erwachte. Warum zum Teufel hatte er nicht früher davon erfahren?
»… geht es sowohl für die Union als auch für die Staaten, die Mitglied werden wollen, um viel Geld«, sagte Pichette und erinnerte daran, daß die Kandidatenländer in den zurückliegenden zehn Jahren für ihre Beitrittsvorbereitungen im Rahmen des Phare-Projekts und ergänzender EU-Fördermittel mehrere Milliarden Euro erhalten hatten.
Plötzlich schrillte irgendwo in der Mitte des Saales ein Telefon. Alle Blicke wandten sich einem dunkelhaarigen Mann zu, der verschämt sein Handy ausschaltete.
Pichette setzte ihren Bericht fort. Die EU stand auchohne die Terroranschläge vor einer ganzen Reihe von Problemen. Die Kompromißbereitschaft der Mitgliedstaaten nahm ständig ab, und der Gedanke der europäischen Solidarität wurde von wirtschaftlichen Fragen und Menschenrechtsproblemen verdrängt. Es gab sogar schon Andeutungen, daß die Erweiterung verschoben werden könnte. Und die Gemeinschaft hatte weitere ernsthafte Probleme: den Beschlußfassungsmechanismus der Union, den zunehmenden Widerstand der Bürger in den EU-Staaten gegen die Erweiterung, die Zukunft der Landwirtschaftssubventionen für Spanien und Frankreich, die Fähigkeit der Beitrittskandidaten zur Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften, die Sicherung der EU-Außengrenzen, die Behandlung der ethnischen Minderheiten in Osteuropa …
Als Pichette dann den Namen Walter Reinharts erwähnte und ihre Stimme senkte, um die Vertraulichkeit der Informationen zu betonen, setzte Ketonen sich gerade hin und hörte aufmerksam zu.
Die Kommissarin fand es merkwürdig, daß die Erweiterungsgegner gerade Reinhart als Mordopfer gewählt hatten. Er war nicht vorbehaltlos für eine EU-Erweiterung eingetreten. Im letzten Jahr hatte er die Beitrittskandidaten in mehreren Reden mit äußerst deutlichen Worten vor übertriebenem Optimismus gewarnt.
Ketonen war überrascht. Er hatte es für selbstverständlich gehalten, daß der Kommissar die Erweiterung auch unterstützen mußte, wenn er für sie zuständig war.
Pichette wies darauf hin, daß die Bearbeitung der Beitrittsanträge selbst bei einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen erst am Anfang stünde. Dann mußte jeder Antrag noch die Zustimmung der Mehrheit im Europäischen Parlament und im Parlament des jeweiligen Beitrittskandidaten erhalten, und es war ein einstimmiger Beschluß des Ministerrates der EU erforderlich. »Wenn die Bedrohungdurch kriminelle Aktionen nicht rechtzeitig eliminiert wird, kann noch alles mögliche passieren«, sagte Pichette und beendete mit diesem eindrucksvollen Schlußsatz ihren Beitrag.
Die Zuhörer bombardierten Pichette mit Fragen. Ketonen schüttelte den Kopf, hier saßen einfach zu viele diensteifrige Vertreter von Sicherheitsbehörden herum.
Er beschloß, in die Ratakatu zu gehen, um zu arbeiten, und sah im gleichen Moment, daß Loponen hereinstürmte, mit dem Telefon in der Hand.
26
»Eine gute Suppe«, schwindelte Ratamo. Die Kantinenwirtin der SUPO stand neben ihm und schaute zu, wie es dem Ermittlerpärchen schmeckte.
»In keiner
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