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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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schier unendliches Menschenmeer. Hier würde man niemanden finden. Sein Puls raste.
    Gerade als Ratamo aufgeben wollte, sah er, wie ein kleiner Mann ein blaues Bündel in seinen Rucksack stopfte. Der Mann hatte zwei Gefährten. Und trug New-Balance-Schuhe. Die Wahrscheinlichkeit war für Ratamo hoch genug. Er preßte die Hand um den Griff seiner Waffe, zog sie aber nicht heraus. Bilder von der Schießerei in Nurmijärvi im letzten Winter gingen ihm durch den Kopf. Im Leben mußte man sich immer wieder entscheiden.
    Er stellte sich vor den jungen Mann, der seinen Rucksack packte, zog seine Waffe und befahl den Männern in englisch, sich auf den Boden zu legen. Die umstehenden Menschen zogen sich weiter zurück, einige rannten weg, die anderen blieben in sicherer Entfernung stehen und fragten sich verblüfft, worum es hier ging.
    Der kleine Mann mit dem Rucksack gehorchte, auch der zweite Mann, aber der dritte, ein breitschultriger langer Kerl, trat Ratamo in die Rippen, so daß seine Hand mit der Waffe wackelte. Sofort stürzte sich der kleine Mann auf ihn. Ein Schuß aus Ratamos Waffe löste sich und schlug in derDecke ein, die Schreie der Menschen dröhnten im Metrotunnel.
    Dann wurde um ihn herum alles schwarz.

36
    Nach den heftigen Regenfällen der letzten Wochen in Süddeutschland näherte sich die Donau schon der unteren Grenzlinie der Hochwassermauer. Zoran Jugović schaute auf das dahinströmende Wasser, er saß auf einer Bank am Ufer im Vigadó, im Zentrum von Pest, wo die Touristenschiffe zum Donauknie, nach Wien oder zu den kurzen Rundfahrten um die Margit sziget ablegten. Jetzt, im September, fuhren weniger als im August, der Urlaubssaison der Mitteleuropäer. In seinem Blickfeld lagen drei Schiffe: ein doppelstöckiger Fährenveteran, ein prächtiger Katamaran und ein Schiff, das mit seinem Plexiglasdach wie ein Ufo aussah. Jugović zwinkerte einer gutgebauten Spaziergängerin zu, aber die Frau tat so, als würde sie den Versuch eines Flirts nicht bemerken.
    Es gab deutlich mehr Fußgänger als sonst an Werktagen. Jugović wunderte sich, wie viele junge Amerikaner unterwegs waren. Woher bekamen sie das Geld für ihre Reisen? Mußten sie nicht studieren? Er konnte die Amerikaner nicht leiden. Der CIA hatte im Bosnien-Krieg auf dem Gebiet der militärischen Aufklärung mit Kroatien zusammengearbeitet. Er hatte der kroatischen Armee Chiffriergeräte geliefert und Millionen Dollar für die Errichtung von Lauschstationen ausgegeben. Mit Hilfe der Yankees gelang es den Kroaten 1995, die Krajina zurückzuerobern. Amerikanische Spionageflugzeuge fotografierten die Truppenbewegungen der Serben, die Fotos gab man den Kroaten, die daraufhin ihre Truppen an der Stelle zusammenzogen, an der die Serbeneinen Durchbruch versuchen wollten. Bei dem Überraschungsangriff der Kroaten starben Tausende Serben. Danach wurden Hunderte Menschen ermordet, zweihunderttausend Zivilisten aus ihren Häusern vertrieben und Tausende Gebäude niedergebrannt.
    Im Laufe des Tages war das Wetter wärmer und schöner geworden. Die Sonne schien am wolkenlosen Himmel und glitzerte in den Wellen der Donau wie Blitzlichter im Nép-Stadion.
    Drinas Tod erfüllte Jugović nicht mit Trauer: Drina hatte Ljubo noch mitteilen können, daß der nächste Mord planmäßig ausgeführt werden mußte. Das war die Hauptsache. Sein Tod würde nichts an dem Befehl ändern. Jugović hatte Jakob Reimer schon informiert, daß der Befehl zum Mord erteilt war.
    Aber wer hatte Drina ermordet? Und warum? War »Krešatik« oder Horvát ihnen auf die Spur gekommen? Hielt Horvát deswegen ständig Kontakt zu ihm? Jugović dachte fieberhaft nach, fand aber keine Antworten. Jetzt mußte er sofort aus Budapest verschwinden. Drinas Tod gab den letzten Anstoß, er war hier nicht mehr sicher. Ein unbestimmtes Panikgefühl machte sich in ihm breit. Jemand legte ihm eine Falle. Er spürte es. Aber der Weg nach Belgrad war versperrt, solange er sein Honorar nicht von Jakob Reimer erhalten hatte.
    Drina würde doch wohl vor seinem Tod dem finnischen Polizisten nichts gesagt haben? Jugović hatte dem Finnen gestern als Begrüßungsgeschenk ein Glas Teer geschickt. Im Jargon der russischen Mafia wurde das Erschießen als Teeren bezeichnet. Vielleicht bewirkte der Hinweis, daß der Finne auf der Hut war und der NBH den russischen Organisationen in Budapest auf den Hals gehetzt wurde. Er hoffte, daß man dem Finnen im NBH sagte, wie die professionellen Kriminellen ihre Feinde

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