Finnisches Roulette
uns gestern unterhalten haben. Warum hätte er sonst das Testament gestohlen? Konrad ist nicht dumm, er begreift sehr wohl, daß ihr beide, Ehud und du, die Kontrolle über H & S Pharma erhaltet, wenn ich Anna beerbe.«
»Liebe Sabine. Konzentriere du dich in aller Ruhe auf deine Forschungsarbeit genau wie Ehud, und laß mich die Sache mit den Aktien erledigen«, sagte der Oberst und versuchte gelassen zu bleiben.
»Natürlich schaffe ich meine Aufgaben in der Forschung. Ich hoffe nur, daß wir, Ehud und ich, endlich in Ruhe arbeitenkönnen«, erwiderte Sabine kühl und prüfte mit einem leichten Stoß, ob ihr Dutt noch straff saß.
Oberst Agron stand bedächtig auf, ging ans Fenster und schaute auf die eindrucksvolle Frankfurter Landschaft. Ein weißer Heißluftballon schwebte vor ihm in zweihundert Metern Höhe wie eine leere Sprechblase. Es ärgerte ihn, daß die Eroberung von H & S Pharma ohne Sabine und Ehud nicht gelingen konnte. Als der Milliardär und Zionist Dan Goldstein nach Werner Halberstams überraschendem Tod keinen Zugang mehr zu den Genkarten von Genefab besaß, hatte er sich alle möglichen Informationen über die Aktienbesitzer von H & S Pharma beschafft. Knapp die Hälfte der Aktien konnte er für Future Ltd. von der Witwe des zweiten Firmengründers Johann Schultz erwerben, die keine Erben oder Verwandten hatte. Doch als Goldstein erfuhr, daß Eero Ojala und Laura Rossi ihre Aktien nur an Verwandte verkaufen durften, stand er wie vor einer Wand. Annas Testament und Sabine waren für ihn der einzige Weg, um zusätzliche Aktien und die Entscheidungsgewalt in dem Unternehmen an sich zu bringen. Deshalb erlangten Ehud und Sabine einen ungeahnten Wert und mußten für den Plan gewonnen werden.
Oberst Agron hatte Angst wegen Ehud. Das Bild des brennenden rotweißen Busses erinnerte ihn nur allzu oft daran, was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren. Warum hatte er Goldsteins Vorschlag nicht abgelehnt, fragte sich der Oberst zum hundertsten Mal, obwohl er die Antwort kannte. Er wurde bald sechzig, auf seinem Konto herrschte gähnende Leere, und demnächst würde niemand mehr die Dienste eines Ex-Soldaten benötigen, der sich dem Rentenalter näherte. Saul Agron wußte selbst genau, daß die Gründe, die er da aufzählte, nur Vorwände waren. In Wirklichkeit wollte er sich rächen und seinem Sohn helfen.
»Was willst du tun?« fragte Sabine, die sich schon etwas beruhigt hatte.
Der Oberst setzte sich seiner Schwiegertochter gegenüber auf das Sofa, glättete die Bügelfalten seiner Hose und schien über eine Antwort nachzudenken. Wenn Ehud und Sabine von der ethnischen Bombe wüßten, könnten sie verstehen, welchem Druck er ausgesetzt war. Aber er wollte ihnen nichts von der Waffe sagen. Die beiden jungen Ärzte würden ganz gewiß den Tod zahlloser Zivilisten nicht akzeptieren, egal, wie edel die Motive waren, mit denen er die Notwendigkeit begründen würde. Und er konnte nicht das Risiko eingehen, daß Ehud ihn für ein Ungeheuer hielt. Der Oberst beugte sich vor, schaute Sabine an und sagte versöhnlich: »Diese Situation zehrt an unseren Nerven. Gib mir vierundzwanzig Stunden Zeit, und ich bringe alles in Ordnung. Ich verspreche es.«
Sabine starrte ihren Schwiegervater einen Augenblick an und schien besänftigt. »Gut. Halte uns auf dem laufenden«, erwiderte sie und verließ den Raum genauso energiegeladen, wie sie gekommen war.
Als die Tür zu war, veränderte sich Oberst Agrons Gesichtsausdruck und wirkte nun angespannt. Er suchte im Kleiderschrank eine einfarbige Krawatte und band sich ohne Spiegel einen Windsor-Knoten. Um den Plan zu verwirklichen, würde er alles tun. Wenn Sabine Anna Halberstam beerbte, könnten Ehud und seine Frau die Leitung der Firma übernehmen, Dan Goldstein bekäme seine Genkarten und er seinen Lohn, ein Fünftel von Genefab, und die Rache. Alles stand auf dem Spiel.
Eins nach dem anderen, dachte der Oberst. Er zog das Sakko an, griff nach dem Telefon und bat seine Sekretärin, einen Tisch im einzigen koscheren Restaurant Frankfurts, im »Sohar«, zu reservieren. Er wollte beim Mittagessen einen Mann treffen, der Konrad Forster finden und ihm Anna Halberstams Testament zurückbringen würde.
45
Die Geräusche des ersten Terminals auf dem Frankfurter Flughafen brachen ab, als Arto Ratamo und Laura Rossi in den Streifenwagen stiegen. Die SUPO hatte den deutschen Behörden mitgeteilt, daß Konrad Forster beabsichtigte, Laura Rossi das Testament zu
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